Tomaten mit Kennzeichnung

Wahlfreiheit und Kennzeichnung –
Wie kann ich entscheiden, was gut für mich ist?

Regional? Ökologisch? Ohne Gentechnik? Beim Einkauf von Lebensmitteln hat der Kunde die Möglichkeit, aus einem Angebot zu wählen. Die Wahlfreiheit des Konsumenten setzt allerdings eine Kennzeichnung der Lebensmittel voraus. Aber verstehe ich auch, was die Verpackung mir an Informationen mitteilt? Und was soll durch die Kennzeichnung gesetzlich geregelt werden: Die Eigenschaften des Produkts oder auch die Art und Weise seiner Herstellung? Was ist für meine Gesundheit und die Umwelt relevant?

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Grundgesetz Art 2 Absatz 1

Unter Wahlfreiheit versteht man ganz allgemein die Möglichkeit, ohne Zwang wählen und entscheiden zu können. Als Akt der Selbstbestimmung soll sie eigene Handlungsfreiheit ermöglichen, die freilich immer nur im Zusammenhang mit der Freiheit anderer Menschen steht. Insofern gilt die Wahlfreiheit des Verbrauchers bei Lebens- und Futtermitteln nicht uneingeschränkt. Sie muss sich auch mit der Freiheit derjenigen vertragen, die an der Herstellung und am Vertrieb dieser Waren beteiligt sind. Dazu zählen beispielsweise die Warenverkehrsfreiheit oder die Berufsfreiheit (Art 12 GG) der Landwirte, Saatgutproduzenten oder Lebensmittelhändler.

In einem ethisch relevanten Sinne ist die Wahlfreiheit aber auch an weitere Kriterien gebunden: Sie gilt nicht nur „negativ“ im Sinne eines Abwehrrechts des Konsumenten, sondern auch positiv im Sinne einer „Freiheit zu“. Darauf legen insbesondere diejenigen Wert, die die sozialen und ökonomischen Voraussetzungen der Wahlfreiheit herausstellen. Sie betonen, dass Grundbedürfnisse auf dem Feld der Ernährungssicherheit erfüllt sein müssen, damit der Einzelne seine Lebensführung selbstbestimmt gestalten kann. Auch der Schutz der Umwelt und ihre nachhaltige Bewirtschaftung gehören zu dieser positiven Freiheit dazu. Hier gilt der Grundsatz: Um negative Freiheit in Anspruch zu nehmen bedarf es positiver Freiheit als Möglichkeitsraum. Sich für die Sicherstellung einer ausreichenden und qualitativ angemessenen Versorgung mit Lebensmitteln einzusetzen, beschreibt einen solchen Möglichkeitsraum. Er macht Freiheit nicht nur individuell, sondern als soziales Konzept zum Thema.

„Ohne Gentechnik“-Siegel soll Produkte kenntlich machen, die ohne Gentechnik hergestellt wurden – so soll Wahlfreiheit für Verbraucher gewährleistet werden.

Titelfoto: iStockphoto

Kennzeichnung von Lebensmitteln

Wo Wahlfreiheit herrschen soll, da ist der Bürger auf korrekte und verständliche Informationen angewiesen. Dazu regelt die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung z.B. die Mindesthaltbarkeit oder das Verzeichnis der Zutaten. Darüber hinaus preisen die Hersteller ihre Produkte mit einer großen Vielfalt an Qualitätsmerkmalen an. Solche Gütesiegel oder Labels sind freiwillig und sollen als praktischer Rat beim Einkauf fungieren. Auffallend ist dabei die Hochschätzung der Metapher „Bio“, „fair“ oder „regional“. Sie artikulieren nicht nur ein Bedürfnis, sondern bisweilen eine Sehnsucht: Beim Essen soll es natürlich, gerecht und unverfälscht zugehen. Auch das Label „Ohne Gentechnik“ verspricht einen Qualitätsgewinn, der in erster Linie durch seine negative Bewertung einer speziellen Züchtungstechnik behauptet wird. Ob die Produkte auch immer halten, was ihre Labels versprechen, ist eine andere Frage. Zuletzt ist es wohl eine Frage des Vertrauens, die darüber entscheidet, ob Verbraucher den Qualitätsversprechen der Anbieter auch wirklich trauen.

Zweck des GenTG ist
(1) unter Berücksichtigung ethischer Werte, Leben und Gesundheit von Menschen, die Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge, Tiere, Pflanzen und Sachgüter vor schädlichen Auswirkungen gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und Vorsorge gegen das Entstehen solcher Gefahren zu treffen,
(2) die Möglichkeit zu gewährleisten, dass Produkte, insbesondere Lebens- und Futtermittel, konventionell, ökologisch oder unter Einsatz gentechnisch veränderter Organismen erzeugt und in den Verkehr gebracht werden können,
(3) den rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gentechnik zu schaffen.

§ 1 Gentechnikgesetz (GenTG)

Gründe für die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Produkten

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Dieser Grundsatz ist in besonderem Maße für die Kennzeichnung solcher Futter- und Lebensmittel leitend, bei denen nachweisbar Gentechnik zum Einsatz kommt. Zurecht erwarten die Bürger, dass die Sicherheit seiner Nahrungsmittel vom Staat kontrolliert wird. In Deutschland nimmt diese Aufgabe das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) war. Es regelt sowohl die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) als auch das Inverkehrbringen – also die wirtschaftliche Nutzung – eines GVO. Als gesetzliche Grundlage fungiert hier das deutsche Gentechnikgesetz (GenTG) sowie die EU-Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt. Nach dieser Freisetzungsrichtlinie sind Lebensmittel und -zutaten dann kennzeichnungs-pflichtig, wenn sie (1) ein GVO sind oder daraus bestehen oder (2) aus einem GVO hergestellt worden sind oder (3) einen GVO enthalten.

Warum erfolgt diese verpflichtende Kennzeichnung? Hintergrund ist die Annahme eines sogenannten Basisrisikos, das sich vor allem auf die Ungewissheit der Folgen der Anwendung gentechnischer Methoden für Umwelt und Gesundheit des Menschen stützt. Die Frage, ob dieses Basisrisiko auch nach 30 Jahren Erfahrung mit dem kommerziellen Anbau noch besteht wird gegenwärtig allerdings kontrovers diskutiert. Die langjährige internationale Biosicherheitsforschung hat zumindest keine spezifischen Gesundheits- oder Umweltrisiken der Grünen Gentechnik feststellen können. Das ist wichtig, weil die Unbedenklichkeit von GVOs nach dem GenTG Voraussetzung ihrer Zulassung ist.

Zulassungen für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln werden von der Europäischen Kommission, basierend auf den wissenschaftlichen Stellungnahmen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, erteilt.

Die GVO-Kennzeichnung in der Sicht des deutschen Verbrauchers

Wie kommuniziert man Vorsorge, wenn wissenschaftlich keine Gründe vorliegen, dass gentechnisch veränderte Produkte im Vergleich mit konventionell hergestellten Produkten per se größere Risiken für Mensch und Umwelt mitbringen?

Im Falle der Kennzeichnung von GVOs haben wir es mit einer doppelten Botschaft des Gesetzgebers zu tun, bei der es unwahrscheinlich ist, dass der Verbraucher sie auch versteht: Einerseits kommuniziert die Pflichtkennzeichnung Unbedenklichkeit auf dem aktuellen Stand wissenschaftlichen Wissens. Und weil die Technik immer noch als relativ neu eingestuft wird, sind ihre Bewertungsmaßstäbe entsprechend hoch. Andererseits signalisiert die Pflichtkennzeichnung eine unbestimmte Gefahr: Irgendetwas muss an solchen Produkten – man möchte fast sagen – „faul“ sein, wenn es dazu einer besonderen Kennzeichnung bedarf. Zumindest ist es dem Gesetzgeber bisher noch nicht gelungen, den Verbraucher davon zu überzeugen, dass die von ihm gewählte Prüfungsprozedur zur Folge hat, dass zugelassene GVO-Produkte für Umwelt und Gesundheit unbedenklich sein müssen, um zugelassen zu werden. Warum dann aber eine besondere Kennzeichnung?

Angesichts einer hochkontroversen gesellschaftlichen Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern der Anwendung von Gentechnik bei Kulturpflanzen und eines noch nicht endgültig geklärten Erkenntnisstands der Wissenschaft insbesondere bei der Beurteilung von Ursachenzusammen-hängen und langfristigen Folgen eines solchen Einsatzes von Gentechnik trifft den Gesetzgeber auf diesem Gebiet eine besondere Sorgfaltspflicht.

Bundesverfassungsgericht in einem Normen¬kontrollantrag der Landesregierung von Sachsen-Anhalt zur Änderung des Gentechnikgesetzes, 24. November 2010

Müssen neue Züchtungstechniken ebenfalls als GVO gekennzeichnet werden?

Die Situation ist noch komplizierter, wenn man die Techniken des Genome Editing in Betracht zieht. Im Unterschied zu herkömmlichen transgenen Pflanzen kann man die Anwendung von Genome Editing im Zielorganismus zumeist nicht mehr nachweisen. Das bedeutet, dass sich die genomeditierte Pflanze de facto nicht von Verfahren der künstlichen Mutagenese oder natürlichen Mutationen unterscheidet, für die heute keine Pflichtkennzeichnung erforderlich ist. Soll man solche Produkte, die mit modernen gentechnischen Verfahren hergestellt werden, trotzdem kennzeichnen? Unabhängig von der Frage, wie dies technisch möglich ist – macht eine Kennzeichnung hier Sinn? Als Hauptargument käme lediglich die Neuheit der Technik in Frage. Oder die Feststellung, dass sich viele – aber: nicht alle – Verfechter eines ökologischen Anbaus von diesen Techniken distanzieren. Aber reicht dieses Argument aus, um nachweisbare Fortschritte in der Pflanzenzüchtung dadurch zu verhindern, dass man ihnen die stigmatisierende Kennzeichnung „hergestellt mit Hilfe der Gentechnik“ verpasst?

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