Blatt in Petrischale

Freiheit der Wissenschaft –
Wann wissen wir genug, um sicher zu sein, was wir wollen?

Soll die Wissenschaft an der Verbesserung genetischer Eigenschaften von Pflanzen forschen? Auch dann, wenn in der Gesellschaft kein Konsens darüber herrscht, ob sie überhaupt angebaut werden sollen? In der gegenwärtigen Debatte um den Einsatz von Biotechnologie in der Pflanzenzucht wird kritisiert, dass sich die Forschung zu wenig an den Erwartungen der Bürger ausrichte. Forscher wenden ein, dass Wissenschaft Neuland betreten muss, wenn sie das Wissen mehren will. Wie unabhängig kann Forschung sein? Wie soll man sie in einer Demokratie gestalten? Und kann auch ein ethisch hochrangiges Ziel jedes Mittel billigen?

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

Grundgesetz (GG), Art. 5, Abs. 3

Forschungsfreiheit ist Teil der so genannten Wissenschaftsfreiheit, die in Deutschland als Grundrecht im Grundgesetz (GG Art 5, Abs. 3) geregelt ist. Historisch gesehen ist sie als Unterfall der Meinungsfreiheit entstanden. Diesen Charakter als ein Abwehrrecht gegen den Staat prägt auch noch die Übernahme in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Vor dem Hintergrund der ideologischen Inanspruchnahme durch den Nationalsozialismus sollte die Wissenschaftsfreiheit grundrechtlich gesichert sein. Seit den 1960er Jahren wird die Freiheit der Wissenschaft im Zusammenhang mit einer allgemeinen Demokratisierung der Gesellschaft zunehmend problematisiert. Nicht nur die Lehre, sondern auch die Forschung findet ja nicht in einem luftleeren Raum statt. Sie wird zum Teil vom Staat gefördert oder steht im Rahmen der sogenannten Industrieforschung im Interesse von Unternehmen. Wer definiert, was forschungswürdig ist und was nicht? Und wie behauptet sich das Erkenntnisinteresse der Wissenschaft gegenüber Zwecksetzungen in der Gesellschaft? Ist eine solche „Finalisierung der Forschung“ mit ihrer Freiheit vereinbar?

Zwischen Forschungsfreiheit und Anwendungsrisiko

Während in der Gesellschaft weitgehend Konsens darüber herrscht, dass Grundlagenforschung primär einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse folgt, gibt es bei der so genannten anwendungsorientierten Forschung bisweilen Streit über ihren gesellschaftlichen Nutzen. Bei der Pflanzenforschung entzündet sich dieser Streit insbesondere am Einsatz gentechnischer Methoden. Diese kommen im Zusammenhang mit Laborexperimenten und vor allem Freisetzungsversuchen, die der Erforschung von Pflanzen unter realen Umweltbedingungen dienen, zur Anwendung. Hier werden vor allem zwei Fragen diskutiert:

  • Ist es mit der Forschungsfreiheit vereinbar, wenn der Staat unter Hinweis auf unbestimmte Risiken die wissenschaftliche Erforschung auf dem Gebiet der Gentechnik bei der Pflanzenzüchtigung einschränkt?
  • Gewährleistet die Freiheit der Forschung in ausreichendem Maße eine wissenschaftsinterne Kontrolle über mögliche Risiken? Also: Können im Fall widersprechender Forschungsergebnisse zuletzt wissenschaftliche Gründe als zureichend etwa für Fragen der biologischen Sicherheit angesehen werden können?

Unsicheres Wissen und der Entscheidungsspielraum der Politik

In seinem Urteil vom 24. November 2010 hat das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfg) das Verhältnis von Politik und wissenschaftlicher Erforschung gentechnischer Organismen folgendermaßen definiert: „Bei der Verwirklichung dieser Ziele (Gemeinwohlziele wie Umweltschutz und Gesundheit, Anm.d.Red.) muss dem Gesetzgeber gerade vor dem Hintergrund der breiten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte um den Einsatz von Gentechnik und seine angemessene staatliche Regulierung ein großzügiger Entscheidungsspielraum zugestanden werden“ (BVerfG, Urteil vom 24.11.2010, Randnummer 234). Damit räumt das Gericht der öffentlichen Debatte, aber auch der oft kritischen Expertise von Ethikkommissionen über die Unbestimmtheit möglicher Risiken beim Einsatz gentechnisch veränderter Organismen einen hohen Rang ein. Auch hier stehen zwei große Fragenkomplexe im Vordergrund:

  • Mit welchen Gründen kann „ein nicht endgültig geklärter Erkenntnisstand der Wissenschaft“ (BVerfg) als Argument für die Beschränkung der Forschungsfreiheit im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit festgestellt werden? Wissenschaftliche Forschung ist ihrem Wesen nach erkenntnisoffen. Doch wie definiert man den Zustand, dass wissenschaftliches Wissen sicher ist?
  • Wie verläuft die Grenze zwischen gesichertem Wissen und (Noch-)Nichtwissen? Fällt die Bestimmung dieser Grenze in den Bereich der Wissenschaft oder ist sie Gegenstand eines öffentlichen, also politischen Aushandlungsprozesses?

Naturwissenschaftliche und sozioökonomische Kriterien

Dass Wissenschaft und Forschung in einem institutionell gesicherten Trennungsverhältnis zur Politik stehen, ist nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch und politisch durchweg anerkannt. Allerdings herrschen unterschiedliche Ansichten darüber vor, welche Wissensformen anerkennungsfähig sind, wenn über die Folgen der technischen Anwendung wissenschaftlichen Wissens Uneinigkeit herrscht. Sollen zum Beispiel auch sozialwissenschaftliche, ökonomische oder ethische Argumente mit darüber entscheiden, wie angesichts der schwierigen Abschätzung der Folgen biotechnologischer Innovation in der Landwirtschaft umzugehen ist?

Die einen befürchten durch die Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher, ökonomischer oder ethischer Argumente eine Preisgabe der Unabhängigkeit von Wissenschaft, die zur politisch gewollten „Bedarfsforschung“ mutiert. Andere halten aus demokratietheoretischen Gründen eine Hinzuziehung sogenannter sozioökonomischer Gründe für erforderlich. Die Frage ist allerdings, wo diese eine Rolle spielen sollen. Bereits bei der Evaluation der biologischen Sicherheitsforschung, wie dies vor allem Kritiker der Gentechnik befürworten? Oder erst dann, wenn Politik zu entscheiden hat, ob eine von der Wissenschaft als unbedenklich eingestufte gentechnisch veränderte Pflanze auch tatsächlich für den kommerziellen Anbau zugelassen werden soll? In Europa ist für diese und andere Fragen zum einen die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zuständig. Deren Arbeit beschränkt sich auf die naturwissenschaftlich gestützte Sicherheitsforschung. Politisch über das Inverkehrbringen eines gentechnisch veränderten Organismus zu entscheiden, ist Aufgabe des EU-Ministerrates, in dem die einzelnen Regierungen der EU-Mitgliedsländer vertreten sind.

Titelfoto: i-bio

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