Forschung Reispflanze

Genome Editing als Thema für die Ethik

Der Einsatz neuer gentechnischer Methoden in der Pflanzenzüchtung ist ein zentraler Meilenstein für eine Landwirtschaft, die den gesellschaftlichen Erwartungen an Nachhaltigkeit gerecht werden kann. Dabei konzentrieren sich die aktuellen Diskussionen um die Regulierung vor allem auf die Frage, ob die Neuheit dieser Techniken ein Kriterium für potenzielle Risiken sein kann. Wie verhalten sich Vorsorge und Innovation zueinander? Als Gegensätze oder aber als zwei Seiten derselben Medaille, deren „Währung“ die Zukunftsvorsorge ist?

Insbesondere die Entdeckung von CRISPR/Cas, der sogenannten Genschere, hat die Entwicklung des Genome Editings einen enormen Schritt vorangetrieben, denn sie funktioniert besser und vor allem präziser als die bisherigen Verfahren. Doch, ob Pflanzenzüchter und Landwirte in Europa diese neuen Züchtungstechniken auch einsetzen werden, hängt nach wie vor davon ab, wie die Politik die mögliche Risiken dieser neuen Techniken des Genome Editing einstuft.

Bisher galten Fragen der Zulassung neuer molekularer Techniken als exklusive Domäne einer naturwissenschaftlichen Risikoforschung. Deren Fokus ist durch die Vorgaben der EU-Freisetzungsrichtlinie begrenzt und im Juli 2018 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass die neue Züchtungstechniken ebenso zu regulieren sind wie die konventionellen Methoden der sogenannten grünen Gentechnik. Seitdem haben europäischen Wissenschaftsorganisationen und die Europäische Kommission einen intensiven Dialog gestartet, in dem geklärt werden soll, ob die Vorgaben des europäischen Gentechnikrechts, das im Wesentlichen den Stand der Biosicherheitsforschung der 1990er wiedergibt, noch zeitgemäß ist. Nach Ansicht der Europäischen Kommission lautet die Schlüsselfrage daher, „ob Rechtsvorschriften, deren Umsetzung Probleme aufwerfen und deren Anwendung auf neue Techniken und neue Anwendungen eine umstrittene rechtliche Auslegung erfordert, noch zweckmäßig sind oder angesichts des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts aktualisiert werden müssen.“

Anders als Fragen der Risikoermittlung sind Urteile über den „Fortschritt“ keine ausschließliche Domäne der Naturwissenschaften. Weil Fortschritte ganz grundsätzlich die Erwartung einer Besserung des Lebens mit sich führen, spielen hier neben Nutzenerwägungen insbesondere auch politische und moralische Einstellungen eine zentrale Rolle. Darum ist die Diskussion um die neuen Züchtungstechnologien auch ein Thema für die Ethik. Ihre Aufgabe besteht darin, die Bedingung der Möglichkeit zu klären, wie man unterschiedliche, manchmal auch konkurrierende Güter miteinander abwägen kann. Dabei bedeutet die Ungewissheit der Vorhersage möglicher Folgen und unbeabsichtigter Nebenfolgen, wie sie durch die Einführung neuer Techniken hervorgerufen werden, eine große Herausforderung. Eine wissenschaftsbasierte Ethik wird sich hier vor allem an Fakten orientieren. Aber weil die Zukunft wissenschaftlich nur sehr eingeschränkt modelliert werden kann, benötigt politische Zukunftsvorsorge einen verlässlichen Konsens über die Frage, wie mit ungewissen Folgen und den daraus resultierenden Zumutungen und Chancen umzugehen ist.

Wer trägt die Beweislast für mögliche Schäden nach dem Vorsorgeprinzip?

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum in der aktuellen Debatte eine Neujustierung des Verhältnisses von Vorsorge und Innovation gesucht wird. Angesichts der großen ökologischen Herausforderungen der Zukunft wird gegenwärtig deutlich, dass eine ausschließliche Interpretation von Zukunftsvorsorge im Sinne eines Unterlassungsgebots gegenüber neuen gentechnischen Methoden deren innovatives Potenzial unberücksichtigt lässt. Wer das im Umweltrecht verankerte Vorsorgeprinzip gegenüber allen nur möglichen Gefahren in Anschlag bringt, ohne die Wahrscheinlichkeit von Schadensszenarien wissenschaftlich begründet auszuweisen, untergräbt die verantwortungsethische Ausrichtung einer jeden Vorsorge für die Zukunft.

Dass dies ein Missbrauch des Vorsorgeprinzips darstellt, hat zuletzt die deutsche Nationalakademie Leopoldina unter Bezugnahme auf die deutsche und europäische Rechtsprechung hervorgehoben: „Das Vorsorgeprinzip gilt […] nicht im Restrisikobereich, also in demjenigen Bereich, in dem Ungewissheiten jenseits der ‚Schwelle praktischer Vernunft“ liegen, weil Risiken ‚nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen“ erscheinen. In diesem Sinne hat z.B. auch der EuGH entschieden, dass ‚eine korrekte Anwendung des Vorsorgeprinzips erstens die Bestimmung der möglicherweise negativen Auswirkungen […] auf die Gesundheit und zweitens eine umfassende Bewertung des Gesundheitsrisikos auf der Grundlage der zuverlässigsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung‘ erfordert“. Gerade in der Diskussion um die Folgen der grünen Gentechnik in der Landwirtschaft kann man eine verantwortliche Position nicht einfach auf Spekulationen gründen. Insofern führt die Bezugnahme auf das Thema der Innovation nicht zu einer Relativierung von Fragen der Biosicherheit, sondern sie schärft die Aufmerksamkeit für die Herausforderungen einer zukunftsfähigen Politik. Und es ist nur schwer vorstellbar, dass Innovationen auf dem Gebiet einer nachhaltigen und zugleich modernen Landwirtschaft ohne eine Förderung neuer Biotechnologien zu erwarten sind. Deren mögliches innovatives Potenzial wird von den Kritikern der neuen Gentechnik zumeist unter Rekurs auf ein „starkes“ Vorsorgeprinzip ausgehebelt, wonach der Einsatz neuer Züchtungstechnologien nur dann gerechtfertigt ist, wenn mithilfe wissenschaftlicher Belege der Ausschluss möglicher Schäden definitiv behauptet werden kann. Aber wie soll dem Neuen gegenüber ein „Erfahrungswissen“ geltend gemacht werden ohne dass die Möglichkeit besteht, diese Erfahrungen auch tatsächlich sammeln zu können?

Dass die Freisetzung veränderter Organismen mithilfe des Genome Editing etwas Neues ist, reicht nicht aus, die Beweislast im Sinne des Vorsorgeprinzips bloß denjenigen aufzubürden, die diese Technik einsetzen wollen. Vielmehr muss die Annahme begründet sein, dass schwerwiegende und irreversible Folgen drohen. Dass diese Folgen bloß denkbar sind, reicht für die Umverteilung der Beweislast allerdings nicht aus.

Die Rituale der öffentlichen Diskussion um den Einsatz gentechnischer Methoden in der Pflanzenzüchtung nähren den Verdacht, dass Vorsorge und Innovation als Gegensätze für eine verantwortliche Positionierungen verstanden werden müssen. Hier wirken noch die kurzschlüssigen Reflexe des Antagonismus von Umweltschutz einerseits und ökonomischen Wohlstand andererseits als Stereotype nach. Tatsächlich dürfte das Gegenteil der Fall sein. Vorsorge und Innovation verhalten sich eher wie zwei Seiten ein und derselben Medaille, deren „Währung“ die Zukunftsvorsorge ist.

Warum „Naturnähe“ das Vertrauen in die Innovation stärkt

Woran soll man sich aber bei der Bewertung neuer Techniken orientieren, wenn eine wissenschaftlich begründete Abschätzung des „Neuen“ mangels Erfahrungswissen immer nur begrenzt möglich ist? Einig ist man sich zumeist bei der Feststellung, dass neue Techniken, nur weil sie „künstlich“ sind, kein größeres Risikopotenzial mit sich führen als „natürliche“ Anbaumethoden. Selbst Kritiker der neuen Techniken des Genome Editing räumen ein, dass technisch bewirkte Veränderungen am Genom von Lebewesen per se nicht gefährlicher sind als dieselben Veränderungen, sofern sie sich auf natürlichem Wege ereignen. Aber warum folgt man dann nicht den Empfehlungen fast aller Wissenschaftsorganisationen, wonach nicht der Einsatz der Methode „Gentechnik“, sondern vor allem die Veränderungen im Produkt, die durch Mutationen entstehen, zum ausschlaggebenden Gegenstand einer Risikobewertung gemacht werden sollte?

Und trotzdem: Bei vielen Menschen bleibt ein Unbehagen gegenüber dem Inverkehrbringen von Pflanzen in die Natur, die mithilfe der Techniken des Genome Editing hergestellt werden. Dabei versteht man zumeist unter dem Topos „Natur“ nicht lediglich einen biologisch beschreibbaren Organismus. „Natur“ meint aber auch nicht einfach eine quasimetaphysische Ordnung, die hinter dem Rücken der Menschen dafür sorgt, dass am Ende schon alles gut wird. Näher an dem lebensweltlichen Verständnis des „Natürlichen“ dürfte eine Lesart sein, die „naturnah“ im Sinne von „vertraut“ versteht. Vertrauen lässt sich aber nicht über den Gegensatz von „natürlich“ versus „künstlich“ oder „menschengemacht“ versus „schicksalsgegeben“ beschreiben. Vielmehr erscheint uns etwas dann als vertraut, wenn wir gute Erfahrungen damit gesammelt haben.

Wichtig erscheint mir diesbezüglich der Hinweis, dass man auch dem Neuen gegenüber Vertrauen aufbringen kann. In solchen Fällen operieren wir üblicherweise mit der Figur der Analogie: Wenn das Neue eine gewisse Verwandtschaft mit dem Bewährten aufweist, dann ist es plausibel, anzunehmen, dass die Folgen des technischen Eingriffs nicht ganz „anderer Natur“ sein werden als die bekannten Wirkungen. Diese Argumentation ist dann aber ein starkes Argument dafür, warum man die neuen Mutagenesetechniken wie das Genome Editing nicht anders regulieren sollte als die bekannten und vertrauten Mutagenesetechniken, die seit den 1960er Jahren dazu geführt haben, dass über 3200 neuer Pflanzensorten auf den Markt kamen. Nach dem EuGH-Urteil sind zwar die Produkte beider Mutagenesetechniken als „genetisch veränderte Organismen“ im Sinne der Definition der Freisetzungsrichtlinie zu verstehen. Aber man geht davon, dass die ältere Form von Gentechnik, weil man mit ihr ein Erfahrungswissen gesammelt hat, sehr wohl umweltverträglich ist. Und Befürworter der neuen Züchtungstechniken machen zudem geltend, dass die neue, gezielte Mutagenese durch Genome Editing wesentlich sicherer abzuschätzen sei als die bisherige „Zufallsmutagenese“, da dort unbeabsichtigte Auswirkungen weniger häufig auftreten.

Vertrauen gegenüber dem Neuen gewinnt man dadurch, dass man nach Analogien mit dem bereits Bekannten forscht. Eine Analogie besteht, wenn zwei Dinge oder Sachverhalte sich in einigen Merkmalen ähnlich sind, auch wenn sie sich in anderen Merkmalen unterscheiden können. Insofern sind die Techniken des Genome Editing sowohl als „neu“ als auch als „vertraut“ im Sinne einer gegenüber anderen Technologien durchaus gesteigerten „Naturnähe“ zu beschreiben. Und diese Analogie erhöht sich in dem Maße, als man nachweisen kann, dass die im Produkt hervorgerufenen Veränderungen einer Pflanzenart so auch auf natürliche Weise hätten entstehen können.

Damit ist allerdings noch wenig darüber ausgesagt, ob das Vertraute auch als „gut“ zu bewerten ist. Um zu diesem Urteil gelangen zu können, müssen mehr als bloße Sicherheitsfragen einer neuen Technik diskutiert werden: Wie nachhaltig sind die neuen Techniken des Genome Editing? Sind sie geeignet, die prekäre Ernährungssituation in den Ländern des globalen Südens zu verbessern? Und können sie den Landwirten dabei helfen, den nötigen Pflanzenschutz aufrechtzuerhalten ohne dabei gravierende Rückgänge bei der Produktivität in Kauf nehmen zu müssen? Auf den folgenden Seiten werden einige Stellungnahmen aus der deutschen und europäischen Diskussionen vorgestellt, die die neuen Techniken des Genome Editing ausdrücklich aus einer ethischen Sicht zum Thema machen. Alle sind sie bestrebt, die Güter von Vorsorge und Innovation zusammenzudenken. Allerdings schlagen sie dabei durchaus unterschiedliche Wege vor.

Stephan Schleissing

Foto oben: iStock

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