Mohn auf einem Rapsfeld

Wert der Pflanze –
Welchen Respekt schulden wir dem nicht-menschlichen Leben?

Pflanzen sind Lebewesen genau wie Tiere und Menschen. Auch sie reagieren auf Umwelteinflüsse, haben vielfältige Lebensansprüche und einen Lebenszyklus, in dem sie sich fortpflanzen und gedeihen. Aber Pflanzen unterscheiden sich auch von Tieren und Menschen. Sie besitzen kein Nervensystem und empfinden daher keinen Schmerz. Trotz dieses Unterschieds gleichen sich Pflanzen und Tiere in ihrem Streben nach Leben. Es liegt daher nahe, dass man sich auch beim Umgang mit Pflanzen mit moralischen Fragen befasst.

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Deutsches Grundgesetz (GG), Art. 20a

„Der Mensch und seine Umwelt sind vor Missbräuchen der Gentechnologie geschützt. Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten.“

Schweizerische Bundesverfassung (BV), Art. 120

Albert Schweitzer

Albert Schweitzer (1875–1965) gilt als wichtiger Vertreter einer biozentrischen Ethik.

„Ehrfurcht vor dem Leben bedeutet: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-D0116-0041-019 / CC-BY-SA
Titelfoto: i-bio

Viele Menschen reagieren mit Mitleid, Entsetzen oder Wut, wenn sie sehen, wie Tiere gequält werden. Weil Tiere Schmerz und Leid empfinden können, wird ihnen ein Eigenwert zugeschrieben, das heisst sie werden um ihrer selbst willen moralisch berücksichtigt. Damit ist die Nutzung von Tieren für menschliche Zwecke zwar nicht ausgeschlossen, aber ihr sind Grenzen gesetzt. Sollen wir auch auf Pflanzen um ihrer selbst willen Rücksicht nehmen?

Mit solchen Fragen beschäftigt sich ein noch junger Bereich der Umweltethik: die Pflanzenethik. Sie untersucht, was Pflanzen moralisch wertvoll macht, wie sich ihr Wert begründen lässt und welche Wertschätzung der Mensch Pflanzen entgegenbringen soll. Es geht hierbei auch um moralische Fragen bei der Nutzung von und im Umgang mit Pflanzen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen, von Wildpflanzen über Kulturpflanzen in der Landwirtschaft bis hin zu Zierpflanzen.

Wert der Artgrenze und des Gedeihens einer Pflanze

Der Wert einer Pflanze lässt sich auf sehr unterschiedliche Weise bestimmen. Er kann beispielsweise über die für eine Art typische genetische Ausstattung einer Pflanze bestimmt werden. Da der genetische Code die Erscheinung, die Lebensansprüche sowie den Lauf des Lebenszyklus bestimmt, gilt er in manchen Moraltheorien als in sich moralisch wertvoll. Dies würde bedeuten, dass eine Veränderung des genetischen Codes auch Folgen für den Wert einer Pflanze hat, was in den Debatten über Gentechnologie von Bedeutung ist.

Der Wert einer Pflanze kann aber auch über das Gedeihen einer Pflanze bestimmt werden. Mit Gedeihen ist nicht allein Wachstum gemeint, sondern - wie insbesondere die Philosophin Angela Kallhoff in ihrem Buch „Prinzipien der Pflanzenethik“ deutlich macht - das „gutes Leben“ der Pflanze mit allen dazu gehörenden Prozessen und einem daraus folgenden Zustand der Stärke und Vitalität. Es gibt Einflüsse, die sich positiv auf Wachstum und Entfaltung auswirken und insofern zum „guten Leben“ einer Pflanze beitragen. Diese Faktoren beschränken sich nicht allein auf die Gene, sondern betreffen auch die Umwelt- bzw. Anbaubedingungen der Pflanze.

Eigenwert und Nutzung der Pflanzen

Im Zusammenhang mit der Zuschreibung eines moralischen Eigenwertes ist häufig von der „Würde“ oder „Integrität“ der Pflanze die Rede. Damit wird moralischer Respekt gegenüber Pflanzen eingefordert. Freilich kann dieser Respekt im Konflikt mit anderen Ansprüchen auf Anerkennung von Lebewesen stehen. Von einem „Eigenwert“ der Pflanze wird üblicherweise gesprochen, wenn ihr ein sogenannter intrinsischer Wert – zum Beispiel aufgrund ihres Strebens nach Leben – zukommt (Biozentrismus). Demgegenüber kann ihr ein Wert auch als Ausdruck ihrer Beziehung zur Umwelt und dem Menschen zukommen. Deshalb spricht das deutsche Gentechnikgesetz von der Natur als „Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge“.

Zuletzt kann man den Wert einer Pflanze aber auch ausschließlich durch ihren Nutzen für den Menschen bestimmen. Diese Position eines Anthropozentrismus ist allerdings in der Neuzeit für viele Menschen zum Problem geworden. Denn wenn man allein auf die Nützlichkeit von Lebewesen blickt, um ihren Wert zu verstehen, besteht die Tendenz, die Mannigfaltigkeit des Lebens zu übersehen und damit zuletzt die Grundlagen allen Lebens zu zerstören.

„Ehrfurcht vor dem Leben“ und „Würde der Pflanze“

Was sind die natürlichen Voraussetzungen einer humanen Kultur? Mit dieser Frage hat sich Albert Schweitzer in seiner „Kulturphilosophie“ (1923) beschäftigt. Die geforderte Ethik einer „Ehrfurcht vor dem Leben“ beabsichtigt, die Position des Anthropozentrismus zu überwinden. Der Wert allen Lebens, den er den Geschöpfen zumisst, bleibt allerdings an das menschliche Erleben dieses Wertes gebunden und auf Kriterien eines vernünftigen Umgangs mit dem Lebendigen angewiesen.

Auf andere Weise hat die Schweizer Bundesverfassung jüngst versucht, die Schutzansprüche nichtmenschlichen Lebens zu stärken. Seit 1992 schreibt sie Tieren und Pflanzen als „Kreaturen“ eine „Würde“ zu. Umstritten ist allerdings die Reichweite dieses Schutzanspruches. Bezieht er sich nur auf das Leiden der Kreatur (Pathozentrismus) oder geht er darüber hinaus (Biozentrismus)? Offen ist auch, ob ein gentechnischer Eingriff der „Würde der Pflanze“ entgegensteht.

Nicht an Eigenschaften von Tieren oder Pflanzen, sondern am menschlichen Umgang mit ihnen ist der ethische Ansatz von Immanuel Kant orientiert. Für ihn ist es eine Frage der Menschlichkeit, ob wir Tieren Mitgefühl entgegenbringen. In welchem Maße Schönheit, Lebendigkeit und Empfindungsfähigkeit allerdings das Verhältnis von Menschen zu Pflanzen bestimmen, ist umstritten.

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