Schwan in der Morgendämmerung

Moral und Ethik –
Wie können wir wissen, was gut und richtig ist?

Ethik boomt. Das lässt sich zumindest mit Blick auf die Diskussionen unserer Zeit behaupten: Produkte werden mit ethischen Gütesiegeln beworben, Unternehmen weisen ihre Werte aus und Ethikkommissionen sollen Wege zu einem gesellschaftlichen Konsens aufzeigen. Was jedoch ist eigentlich gemeint, wenn von Ethik die Rede ist? Und wie unterscheidet sich diese von Moral?

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Grundgesetz (GG), Art. 1, Abs. 1

Aristoteles

Der Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) prägte den Begriff ethos.

Foto: Marie-Lan Nguye, Wikimedia Commons

„Ethik ist kein Bescheidwissen, sondern ein Begleitwissen.“

Trutz Rendtorff (* 1931)

Der Ethik geht es um das Gute. Sie soll Auskunft darüber geben, wie dieses Gute erkannt und verwirklicht werden kann. Ihre Urteile soll sie mit überzeugenden Argumenten begründen. Es gibt verschiedene Quellen und Autoritäten, die Orientierung zu geben vermögen: Als Bürger sollte sich jeder an Recht und Gesetz halten. Der religiöse Mensch wird sich an den Einsichten seines Glaubens orientieren. Ferner werden Entscheidungen auf der Basis von Werten getroffen, die der Einzelne mit Eltern, Freunden und Mitmenschen teilt. Solche Werte sind meist traditionsgebunden und aushandelbar. Wenn sie nicht nur von einzelnen Gruppen geteilt werden, sondern in einer ganzen Gesellschaft gelten, spricht man vom Gemeinsinn oder – besser – englisch vom „common sense“.

Man kann jedoch auch in Situationen kommen, in denen diese Orientierungshilfen brüchig werden und man sich in einer Zwickmühle (Dilemma) wiederfindet: Ist es richtig, das Leben eines schwerkranken Menschen zu verlängern, oder darf man sein Leid beenden? Soll Abtreibung mit Blick auf die Entscheidungsfreiheit der Frau straffrei oder in Rücksicht auf das werdende Leben in ihr verboten sein? In diesen Situationen, in denen für beide Entscheidungen meist gute Gründe sprechen und die Alltagsmoral überfordert scheint, kann die Ethik dazu beitragen, mithilfe von Prinzipien eine Abwägung darüber herbeizuführen, was in einer bestimmten Situation als gut gelten kann. Als übergeordnetes Prinzip einer solchen Abwägung fungiert zum Beispiel die Unverfügbarkeit der Menschenwürde (vgl. Grundgesetz, Art. 1, Abs. 1), deren Achtung in konkreten Situationen – vor allem im Zusammenhang mit anderen Grundwerten – einer Auslegung bedarf.

Zum Unterschied zwischen Moral und Ethik

Im gegenwärtigen philosophischen Sprachgebrauch wird zwischen Moral und Ethik unterschieden. Unter Moral werden gewöhnlich jene Verhaltensweisen verstanden, die sich in einer Gemeinschaft über die Zeit etabliert haben. Der Begriff beschreibt somit die Gesamtheit aller Urteile, Regeln, Normen, Handlungen und Haltungen, die das menschliche Verhalten oder das Verhalten einer bestimmten Gruppe leiten. Man könnte auch von gesellschaftlichen Spielregeln sprechen, die sich für ein gutes Zusammenleben bewährt haben. Gelangt man jedoch in Entscheidungssituationen, in denen diese Spielregeln nicht recht greifen, beginnt ein Nachdenken über die moralischen Konventionen. Ist es tatsächlich gut, dieses zu tun und jenes zu unterlassen? Mit welcher Begründung lehnen wir bestimmte Handlungen ab und halten andere für geboten? Diesen bewussten Prozess des Nachdenkens über Moral und ihre Gültigkeit nennt man gemeinhin Ethik.

Die Ethik hat es dabei in der Regel mit Dilemmata zu tun: Für zwei konkurrierende Entscheidungen sprechen gute Gründe, weil durch die eine Handlungsalternative beispielsweise das Gut der Freiheit und durch die andere das Gut der Sicherheit befördert wird. Keines der beiden Güter ist aus prinzipiellen Gründen zu bevorzugen. Es ist noch nicht einmal möglich, den Nutzen beider Güter direkt miteinander zu vergleichen. Stattdessen kann man in solch einem Fall auf Basis ethischer Überlegungen eine Güterabwägung anstellen. Mit Blick auf eine konkrete Entscheidungssituation wird dabei versucht moralische Prioritäten zu setzen und die Möglichkeiten eines Konsenses auch bei bleibenden Differenzen auszuloten.

Ethik als wissenschaftliche Disziplin

Ethik geht zurück auf den Begriff ethos, der für den antiken griechischen Philosophen Aristoteles (384–322 v. Chr.) zentraler Bezugspunkt seiner Theorie guten Handelns war: Unter ethos verstanden Aristoteles und seine Zeitgenossen jene Verhaltensweisen, in denen eine Gemeinschaft von Menschen aufgrund einer alten, seit Generationen gelebten und überlieferten Gewohnheit übereinstimmt. Dieser Aspekt ist immernoch in vielen Ethiktheorien von Bedeutung, die sich mit sozialen Fragen der Lebensführung beschäftigen. Hier wird davon ausgegangen, dass das Gute nur im Zusammenhang mit einer bestimmten Praxis gefunden werden kann. Der Begriff „Ethik“ wird heute hingegen als Bezeichnung einer philosophischen Disziplin verwendet. In dieser können verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden: Die Deskriptive Ethik interessiert sich für Beschreibungen von Moralvorstellungen, die in Kulturen und Gemeinschaften gelten. Die Metaethik untersucht moralische Aussagen und Urteile – etwa durch semantische Analysen – und versucht, diese zu rechtfertigen. Die Normative Ethik wiederum prüft die Begründungen moralischer Argumente und diskutiert Prinzipien guten Handelns. Auf diesem Weg strebt sie danach, Auskunft über richtige Entscheidungen zu geben. Je nach Art der Begründung moralischer Argumente unterscheidet man verschiedene Moraltheorien, die gleichsam als Ordnungsprinzipien der normativen Ethik dienen können.

Die normative Ethik darf nicht als eine Art „Superwissenschaft“ missverstanden werden, die genau weiß, was gut und was falsch ist. Ihr geht es nicht darum, Moral zu predigen, sondern Argumente innerhalb moralischer Debatten zu ordnen, kritisch zu diskutieren und eventuelle implizite Vorannahmen offenzulegen. Auf dem Wege eines vernünftigen Gesprächs will sie so dem Konsens über die Frage „Was soll ich tun?“ dienen. Der evangelische Ethiker Trutz Rendtorff hat das einmal so formuliert: „Ethik ist kein Bescheidwissen, sondern ein Begleitwissen.“

Umweltethik als eine Bereichsethik

Durch neue technische Möglichkeiten und gesellschaftliche Veränderungen werden oftmals neue moralische Fragen aufwerfen. Entsprechend haben sich im 20. Jahrhundert rund um einzelne Arbeits- und Gesellschaftsfelder spezifische Bereichsethiken etabliert. So bearbeitet die Medizinethik beispielsweise ethisch relevante Fragestellungen im Feld der modernen Medizin. Die Sozialethik wie auch die Politische Ethik sind Bereichsethiken, die sich mit moralischen Fragen nach der Stellung des Individuums in der Gesellschaft bzw. politischer Werte wie Freiheit, Toleranz, Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit und richtigen Strukturen für gesellschaftliche Institutionen befassen. Als weiteres prominentes Beispiel ist die Umweltethik zu nennen. In der Umweltethik geht es um die Reflexion des menschlichen Handelns gegenüber der Natur. Hierbei stellt sich die Frage: Welchen Wesen und Handlungen sprechen wir überhaupt moralische Relevanz zu? Dementsprechend wird in der Umweltethik unter anderem diskutiert, ob auch eine Pflanze einen Eigenwert hat, der über ihren instrumentellen Wert für den Menschen hinausgeht. Von einem Eigenwert spricht man, wenn Handlungen und Güter um ihrer selbst willen zu berücksichtigen sind. Je nachdem, welchen Organismen, Lebensformen oder Erscheinungen der Natur ein Eigenwert zugeschrieben wird, unterscheidet man verschiedene Positionen bzw. Begründungsarten in der Umweltethik. Die Umweltethik hat enge Verknüpfungen zur Pflanzenethik ebenso wie zur Tierethik, aber auch zur Technikethik und zur Agrarethik.

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