Die wichtigsten Moraltheorien –
Wie begründe ich moralisch richtiges Handeln?
Die normative Ethik als Teilbereich philosophischer Ethik beschäftigt sich mit der Frage, was als moralisch richtiges Handeln gelten kann, welche Motivationen diesem zugrunde liegen und ob es allgemeine Prinzipien gibt, die als Maß für richtiges Handeln gelten können. Je nachdem, wie ein Handeln als moralisch richtig begründet wird, unterscheidet man in der normativen Ethik verschiedene Moraltheorien.
Immanuel Kant (1724–1804) hatte maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Deontologie.
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Bild: Antoine Charles Horace Vernet (1758–1836), Wikimedia Commons
John Stuart Mill (1806–1873) gilt als bedeutender Theoretiker des Utilitarismus.
„Nach dem Prinzip des größen Glücks […] ist der letzte Zweck […] ein Leben, das soweit wie möglich von Schmerzen frei und an Vergnügungen so reich wie möglich ist.“
Bild: Saenger, Samuel (1901): John Stuart Mill: Sein Leben und Lebenswerk. Stuttgart. Wikimedia Commons
Aristoteles (384–322 v. Chr.) hatte großen Einfluss auf die moderne Tugentethik.
„Lobenswerte Eigenschaften nennen wir Tugenden.“
Foto: Marie-Lan Nguye, Wikimedia Commons
Auf die Frage, was in einer bestimmten Situation als moralisch richtig und verantwortungsbewusst gelten kann, gibt es keine einfache Antwort. Schon seit Jahrhunderten zerbrechen sich hierüber Philosophen die Köpfe. Bei der Suche nach einer Antwort haben sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Strömungen und Traditionen entwickelt, die zu verschiedenen Moraltheorien geführt haben. Als ein gängiges Ordnungsprinzip dieser verschiedenen Moraltheorien hat sich die Unterscheidung zwischen deontologischer Ethik, konsequentialistischer Ethik und Tugendethik erwiesen. In unserer Alltagsmoral ist es meist so, dass wir nicht ausschließlich nach einer bestimmten Theorie argumentieren, vielmehr spielen verschiedene Theorien in unterschiedlicher Weise für unser Handeln eine Rolle.
Deontologie
Deontologischen Ethiktypen (von griech. deon für Pflicht) geht es um die Handlungen selbst, die in sich moralisch gut oder schlecht sein können. Als bindender Maßstab für moralisch gute oder schlechte Handlungen gelten Regeln und Gebote, an denen sich der Handelnde zu orientieren hat. Eine Handlung gilt genau dann als moralisch gut, wenn sich der Handelnde aus dem Motiv bzw. der Gesinnung seiner normativen Verpflichtung für diese Handlung entscheidet. Da sich nach Auffassung einer deontologischen Ethik der moralische Wert einer Handlung allein nach diesem Motiv bemisst, wäre beispielsweise eine Lüge moralisch stets abzulehnen, auch unabhängig von ihren möglichen positiven Konsequenzen. Einem Menschen die Unwahrheit zu sagen, verletzt ihn nämlich in seiner moralischen Integrität. Es gibt jedoch deontologische Auffassungen, die unter bestimmten Umständen eine Lüge zulassen würden. Jene Form, die unter keinen Umständen eine in sich moralisch schlechte Handlung zulässt, bezeichnet man als moralischen Absolutismus.
Als bedeutendster und einflussreichster Vertreter der Deontologie gilt der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804). Ein bekanntes deontologisches Prinzip, das auf Kant zurückgeht, ist der so genannte kategorische Imperativ. Er zeigt anschaulich das Wesen einer deontologischen Ethik. Es gibt unterschiedliche Formulierungen des kategorischen Imperativs. Eine dieser Formulierungen lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Der kategorische Imperativ verlangt hier von allen Menschen, ihre Handlungen daraufhin zu prüfen, ob sie auch dann erstrebenswert sind, wenn jeder Mensch jederzeit und ohne Ausnahme so handeln würde. So ist gewährleistet, dass nicht nur zugunsten des eigenen Vorteils entschieden wird, sondern alle betroffenen Menschen berücksichtigt werden.
Deontologischen Ethiken wird häufig vorgeworfen, dass sie „realitätsblind“ seien. Denn in der Regel lassen sich weder die moralischen Akteure, also wir Menschen, noch die moralischen Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, in ein strenges Regelwerk an Handlungsmaximen zwängen. Häufig ist nicht zuletzt der Kontext einer moralischen Entscheidung ausschlaggebend dafür, welches Urteil ein Mensch fällt.
Konsequentialismus
In konsequentialistischen Ethiktypen wird ausschließlich auf die Folgen einer Handlung geachtet. Der Wert einer Handlung ergibt sich hierbei aus den Konsequenzen. Mit anderen Worten: Sind die Folgen moralisch wünschenswert, so gilt dies auch für die Handlung. Die positiven Folgen einer Handlung müssen insgesamt überwiegen. Im Unterschied zur deontologischen Ethik, wo die Gesinnung entscheidend ist, mit der eine Handlung ausgeführt wird, zählt im Konsequentialismus das Ergebnis der Handlungen. Gibt es mehrere Handlungsalternativen, die zum gleichen Ziel führen, ist diejenige Handlung moralisch richtig, deren Folgen mindestens so gut sind wie die Folgen jeder anderen Handlung, die man an ihrer Stelle ausführen könnte. Was als moralisch gute Folge gelten kann, ist abhängig von der jeweiligen Wertsetzung. Wird beispielsweise dem allgemeinen Glück in der Welt ein Wert beigemessen, so ist insgesamt dieses Glück maximal zu befördern.
Je nach Wertsetzung fasst man unter dem Begriff des Konsequentialismus verschiedene Ethiktypen zusammen, so zum Beispiel den Utilitarismus (von lat. utilitas für Nutzen, Vorteil), bei dem man auch wiederum verschiedene Formen unterscheidet. Im hedonistischen Utilitarismus (von griech. hedone für Freude, Vergnügen, Lust, Genuss) gilt als rechtes Handeln alles, was das Glück in der Welt maximiert. Als bedeutende Vertreter dieser Richtung gelten Jeremy Bentham (1748–1832) und John Stuart Mill (1806–1873). Im Präferenzutilitarimus hingegen gilt die Befriedigung rationaler Präferenzen als Maßstab, um eine Handlung und deren Auswirkungen zu beurteilen. Die Erfüllung von Präferenzen ist hierbei zu maximieren. Unter Präferenz versteht man in diesem Zusammenhang alle rationalen und emotionalen Interessen eines Menschen. Der australische Philosoph Peter Singer (* 1946) gilt als ein bedeutender Vertreter des Präferenzutilitarismus.
Ein Problem konsequentialistischer Ethiken ist die Ungewissheit über das Ergebnis einer Handlung zum Zeitpunkt der Entscheidung für oder gegen eben diese Handlung. Nicht selten führen nach bestem Wissen und Gewissen getroffene Entscheidungen zu moralisch sehr zweifelhaften Ergebnissen. Und umgekehrt kann - wenn auch selten - eine Böswilligkeit dem Opfer zum Vorteil gereichen.
Tugendethik
Während die Deontologie auf die Handlung als solche fokussiert, der Konsequentialismus auf die Folgen, stehen in tugendethischen Ethiktypen die Handelnden im Mittelpunkt. So möchte die Tugendethik keine Gebote oder Verbote für gutes Handeln aufstellen, sondern betont, dass sich richtiges Handeln aus richtigen Einstellungen und persönlichen Haltungen ergibt. Diese Einstellungen und Haltungen beruhen auf bestimmten inneren Neigungen. Die Fähigkeit, etwas Gutes aufgrund dieser inneren Neigung zu tun, bezeichnet mal als Tugend. Geläufige Tugenden sind Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit oder Mäßigung (vgl. Kardinaltugend). Folgt man diesen und ähnlichen Tugenden, kann man das individuelle und kollektive Wohl befördern, etwa das persönliche Glück oder die Gerechtigkeit unter den Menschen. Der Wert einer Handlung ergibt sich hierbei aus dem Wert der Tugend. Ziel in der Tugendethik ist es folglich, eine bestimmte Lebenshaltung und eine menschlich vortreffliche Persönlichkeit zu entwickeln, so dass man in entsprechenden Situationen moralisch angemessen handelt.
Da die handelnde Person in der Tugendethik im Mittelpunkt steht, ist es entscheidend, was in einer bestimmten Situation beispielsweise einen „guten Lehrer“ oder eine „gute Mutter“ ausmacht. Es ist für eine tugendhafte Person nicht möglich, schon im Vorfeld zu bestimmen, wie man sich in einer bestimmten Situation richtig verhält. Dies muss von Fall zu Fall aufgrund der eigenen Tugendhaftigkeit entschieden werden. Wichtiger Beurteilungsmaßstab in einer konkreten Situation ist eine eigene Tugend, nämlich die der Vernunft bzw. „praktischen Urteilskraft“, auch griechisch phronesis genannt. Aristoteles (384–322 v. Chr.) gilt als Begründer der Tugendethik. Sie war für lange Zeit in Vergessenheit geraten und erlebte erst in den 1960er Jahren eine Wiederbelebung.
Allerdings ist es schwierig aus einer tugendethischen Haltung heraus eine soziale Verbindlichkeit für moralisches Handeln zu generieren. Wenn die tugendhafte Einstellung und damit die ethisch richtige Handlung allein im Ermessen des Handelnden liegt, können extrem unterschiedliche Handlungsweisen als moralisch richtig begründet werden. Außerdem ist es vorstellbar, dass es Menschen gibt, die „von Natur aus“ - quasi schuldlos - wenig tugendhaft sind und daher nicht ethisch handeln können.
Weitere Moraltheorien
Neben den drei genannten Moraltheorien gibt es eine Vielzahl weiterer Theorien. Eine dieser Theorien wäre beispielsweise der Kontraktualismus, auch Vertragstheorie genannt. Hierunter versteht man jene Moraltheorien, die die Prinzipien menschlichen Handelns – in einer Art Gedankenexperiment – durch einen theoretischen „Vertrag“ begründen, der zwischen Menschen geschlossen wird. Beispielsweise kann sich eine menschliche Gemeinschaft auf das Prinzip einigen, andere Menschen nicht zu töten. Dieses Prinzip wäre dann Bestandteil eines solchen theoretischen „Vertrages“. Gesetze und Verfassungen von Ländern wären Beispiele, wie sich Verträge praktisch umsetzen lassen. Ebenso können gesellschaftliche und politische Institutionen durch Verträge begründet werden. Ein Vertrag kann nur dann Gültigkeit haben, wenn er den Interessen, Rechten und Glücksvorstellungen der Individuen dient. Als hauptsächliche Theoretiker der Vertragstheorie gelten Thomas Hobbes (1588–1679) und John Locke (1632–1704).
Eine weitere, in jüngster Zeit entwickelte Moraltheorie ist die Diskursethik. Sie wurde vor allem zur Lösung von Konflikten entwickelt. Die Inhalte der moralischen Normen, die in der Diskursethik zu befolgen sind, sowie das, was zur Lösung eines Konfliktes beiträgt, werden in einem sogenannten praktischen Diskursverfahren entwickelt. Hierbei einigen sich die am Diskurs beteiligten Menschen auf bestimmte Regeln. Es wird davon ausgegangen, dass Menschen die Fähigkeit haben, Gründe für die Gültigkeit der ausgehandelten Regeln und Lösungen einzusehen. Als Begründer dieser Moraltheorie gilt der deutsche Philosoph Jürgen Habermas (*1929).
Letzte Aktualisierung: 03.08.2017