Lebensmittel-Label – freiwillig oder verpflichtend?

Eine Lebensmittelkennzeichnung soll für Transparenz sorgen. Doch genügt Transparenz, um eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können? Viele Verbraucher fordern Label, damit durch den Kauf dieser Produkte bestimmte Werte wie Gesundheit, Tierwohl oder Umweltschutz gefördert werden können. Doch soll man die Förderung dieser Werte verpflichtend machen? Und wer entscheidet, was gelabelt werden muss? Der Staat, der Markt oder das Gewissen der Verbraucher? Die Diskussion dieser Fragen hat auch Einfluss auf unseren künftigen Umgang mit Produkten, die mit Hilfe von Genome Editing hergestellt worden sind.

Als Verbraucher erwarten wir von Lebensmittelkennzeichnungen verständliche, vertrauenswürdige und relevante Informationen. Diese sollen uns helfen, mit der enormen Vielfalt an Produkten im Supermarktregal zurechtzukommen. Mit Lebensmittellabeln wird der Tatsache Rechnung getragen, dass wir nicht alle Experten auf dem Gebiet der Lebensmittelkunde und Ernährungswissenschaften sind. Wir gehen außerdem davon aus, dass das gekennzeichnete Produkt auf die beschriebene Eigenschaft geprüft wurde und dass die Information auf der Verpackung für unsere Kaufentscheidung von Bedeutung ist oder zumindest sein sollte.

Kennzeichnung Lebensmittel

Verpflichtende Kennzeichnung in Deutschland

Lebensmittel Ampel

Die Nährwertampel soll es Menschen einfach machen, Produkte zu erkennen, die aufgrund ihres hohen Gehalts an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz ungesund sind. Produkte, bei denen eine oder mehrere dieser Substanzen der Kategorie ROT zugeordnet sind, sollten Verbraucher meiden.

Abbildung oben: BLL

Allerdings beschränken sich Label nicht auf physiologische Produkteigenschaften wie etwa die Nährwertangaben, sondern beziehen sich bisweilen auch auf Werte, die durch den Kauf des Produkts verwirklicht werden. Ein Beispiel dafür wäre der Wert der Gerechtigkeit, der den fair-trade- Siegeln zugrunde liegt. Diese Siegel nehmen Bezug auf gesellschaftlich anerkannte Werte und beinhalten zugleich eine normative Handlungsaufforderung. Mit andere Worten: Sie dienen als Medium, mit dessen Hilfe wir uns als Gesellschaft über ethische Aspekte von Lebensmittelproduktion und -konsum verständigen.

Grundsätzlich sind zwei verschiedene Arten der Kennzeichnung zu unterscheiden: Freiwillige Label erlauben es Herstellern, Produkteigenschaften gut sichtbar auf der Verpackung auszuweisen, von denen sie annehmen, dass sie eine Entscheidung des Verbrauchers für das Produkt begünstigen. Verpflichtende Label sind dagegen gesetzlich vorgeschrieben und betreffen alle Produkte, die eine bestimmte Eigenschaft aufweisen. Als Verbraucher können beide Kennzeichnungsarten für uns wichtig sein. Denn wir wollen einerseits einen Mindeststandard an vergleichbaren Informationen auf allen Produkten. Dies wird durch eine Kennzeichnungspflicht gewährleistet. Auf der anderen Seite wollen wir, dass die Entscheidung vor dem Supermarktregal schnell und unkompliziert ist. Dieses Bedürfnis wird insbesondere durch freiwillige Label befriedigt, die häufig auf bestimmte Konsumentengruppen zugeschnitten sind und teilweise mehrere Eigenschaften des Produkts zusammenfassen. Um zu wissen, wie mit den verschiedenen Arten der Kennzeichnung umzugehen ist, ist es hilfreich deren spezifischen Eigenarten näher zu betrachten.

Freiwillige und verpflichtende Kennzeichnung: Was sind die Unterschiede?

In Deutschland sind einige Eigenschaften von Produkten wie beispielsweise die Chargennummer oder die Zutatenliste verpflichtend auf der Verpackung jedes Lebensmittels auszuweisen. Es wird also davon ausgegangen, dass die so ausgezeichneten Produktinformationen für alle Verbraucher gleichermaßen relevant sind. Sowohl das Kontrollprozedere als auch das Design solcher Kennzeichnungen ist in der Regel exakt vorgeschrieben. Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich der Verbraucher über sicherheitsrelevante Fakten des Produkts (z.B. das Ablaufdatum oder Allergene) informieren kann. Außerdem können Verbraucher mittels dieser Angaben zwei Lebensmittel – zum Beispiel hinsichtlich ihres Kaloriengehalts – ohne weiteres Vorwissen direkt miteinander vergleichen. Verpflichtende Kennzeichnungen sind in der Regel ethisch neutral gehalten.

Die Mehrzahl der Label auf Lebensmittelverpackungen ist jedoch nicht gesetzlich vorgeschrieben. Stattdessen erklären sich Hersteller freiwillig bereit, einem bestimmten, kontrollierbaren Qualitätsanspruch (z.B. Bio-Siegel oder Regionalität) zu genügen und können dies prominent auf dem Produkt signalisieren. Die Kontrolle solcher Label erfolgt durch staatliche oder private Kontrollinstitutionen. Freiwillige Label ermöglichen es dem Verbraucher, individuell unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich eines Lebensmittels zu verwirklichen. Damit bieten sie die Möglichkeit, Produkte mit bestimmten Werten und Überzeugungen von Verbrauchern in Verbindung zu bringen, die nicht unbedingt auf den physiologischen Eigenschaften des Produkts basieren.

Kennzeichnung von Sicherheit und Qualität

Lebensmittel-Label haben grundsätzlich nicht die Aufgabe, den Verbraucher auf erhebliche gesundheitliche Risiken beim Verzehr des Produkts hinzuweisen. Stattdessen muss davon ausgegangen werden, dass ein Produkt nur dann auf den Markt gebracht werden kann, wenn es – von einem durchschnittlichen Verbraucher in regulären Mengen konsumiert – unbedenklich ist. Verpflichtende Label stellen damit einen Mindeststandard an Qualität sicher, da ein Produkt, das diese Anforderungen nicht erfüllt, vom Markt ferngehalten wird. Verpflichtende Angaben müssen weiterhin darüber gemacht werden, unter welchen Umständen die Qualität garantiert werden kann, zum Beispiel durch empfohlene Verzehrmengen, Lagerbedingungen oder Verfallsdatum. Ein verpflichtendes Label, das grundsätzliche Sicherheitsrisiken suggeriert, untergräbt das Vertrauen in die Institution, die es ausgegeben hat.

Freiwillige Label sind generell ungeeignet, um sicherheitsrelevante Informationen an den Verbraucher weiterzugeben. Ohnehin wird man vergeblich nach einer freiwilligen Kennzeichnung suchen, die eventuell unerwünschte Effekte des Produkts signalisiert oder den Verbraucher auf Konsumgrenzen hinweist. Hier dominieren stattdessen Produkteigenschaften, die von Konsumenten positiv bewertet werden. Das spezifische Qualitätskriterium kann dabei sowohl eine Eigenschaft sein, die das Produkt hat (positive Kennzeichnung), als auch eine Eigenschaft, die das Produkt nicht hat (negative Kennzeichnung, z.B. „frei-von…“). In beiden Fällen gilt jedoch, dass die Qualität nicht im Label, sondern in dessen Übereinstimmung mit den Ansprüchen des Verbrauchers liegt. So ist ein glutenfreies Produkt für einen Menschen, der an Zöliakie leidet, die richtige Wahl. Dies bedeutet jedoch nicht, dass glutenhaltige Produkte grundsätzlich ungesund sind.

Wertorientierte Kennzeichnung und die Gewährleistung von Wahlfreiheit

Verpflichtende Label sollen in der Regel keine Werturteile über ein Produkt oder seine Eigenschaften fällen, sondern Fakten zugänglich machen. Allerdings gehen die Präferenzen vieler Verbraucher über konkrete, physikalische Produkteigenschaften hinaus und beziehen sich auch auf Werte, die nicht nur das Produkte, sondern beispielsweise auch die Art und Weise seiner Herstellung betreffen. Doch sind in diesem Fall verpflichtende Label angebracht? Und ist es Aufgabe des Staates, dem Konsumenten die Entscheidung für oder wider ein Produkt so einfach wie möglich zu machen? Die heftige Debatte um die Ampel-Kennzeichnung zeigt deutlich, wie problematisch es ist, wenn der Staat eine bestimmte Lebensweise seiner Bürger forciert. Während die Befürworter hervorheben, dass eine farbliche Kennzeichnung für alle Verbraucher intuitiv einsichtig ist, beklagen die Gegner dies als paternalistische Bevormundung.

Verbraucherinformation kann unterschiedliche Formen haben (z.B. Produktkennzeichnungen, Siegel, Bedienungsanleitungen, Sicherheitshinweise). Bei der Frage, auf welche Art und Weise „gute“ Verbraucherinformation angesichts der Informationsflut gestaltet werden sollte, stellen sich zwei Herausforderungen. Zum einen ist das Zeitbudget der Menschen begrenzt, und ihre Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitungs-kapazität sind beschränkt. Zum anderen sollen Informationen für jedermann unabhängig von der jeweiligen Vorbildung, Erfahrung in verschiedenen Konsumbereichen und auch individuellen sozio-kulturellen Faktoren (z.B. Wertvorstellungen und Lebenseinstellung) verständlich sein.

Verbraucherpolitischer Bericht der Bundesregierung 2016. S. 72

Die Bedingungen dafür zu schaffen, dass sich Bürger frei entfalten und nach ihren Vorstellungen leben können, kann jedoch als staatliche Aufgabe betrachtet werden. In diesem Sinne richten sich Forderungen von Verbrauchern und Verbraucherorganisationen hinsichtlich der Kennzeichnung von Lebensmitteln häufig an die Politik. Dies wird unter anderem dadurch begründet, dass nur so die Verfügbarkeit bestimmter Produkte und damit die Wahlfreiheit des Konsumenten sichergestellt sind. Gäbe es zum Beispiel keine Möglichkeit, ökologisch produzierte Produkte als solche zu kennzeichnen, würden Landwirte Bio-Produkte nicht rentabel herstellen können. Für den Verbraucher hätte dies zur Folge, dass ihm die Option auf Bioprodukte nicht mehr zur Verfügung stünde. Staatliche Unterstützung ist also durchaus auch im Bereich der freiwilligen Labels sinnvoll, wenn es darum geht, die Weichen für Wahlfreiheit beim Kauf von Lebensmitteln zu stellen. Denn einerseits muss sichergestellt sein, dass die Verbraucher durch Lebensmittellabel nicht getäuscht werden. Andererseits bietet sich durch die Förderung von Kennzeichnung die Möglichkeit, ein breites Angebotsspektrum zu befördern.

Freiwillige Label segmentieren das Angebot in Bezug auf Werte bestimmter Gruppen von Konsumenten und sichern zu, dass diese Werte zum Beispiel auch bei der Herstellung des Produkts handlungsleitend waren. Freiwillige Label fassen häufig mehrere Qualitätsebenen zusammen. Dadurch können Verbraucher mit dem Kauf eines Lebensmittels eine umfassende Lebensweise oder Weltsicht zum Ausdruck zu bringen ohne sich im Detail mit den einzelnen Eigenschaften des Produkts oder seiner Herstellung auseinandersetzen zu müssen. Aufgrund ihrer auffälligen Gestaltung und prominenten Positionierung auf Verpackungen sind freiwillige Label prinzipiell besonders gut geeignet, um sich beim Einkauf zu orientieren. Allerdings wird dieser Vorteil durch die mittlerweile kaum noch überschaubare Vielzahl und Vielfalt an Labeln wieder geschmälert. Dies gilt insbesondere dort, wo für den Verbraucher nicht mehr erkennbar ist, ob es sich tatsächlich um ein Qualitätssiegel oder um eine Werbemaßnahme handelt.

Freiwillige oder verpflichtende Kennzeichnung genom-editierter Lebensmittel

Am Beispiel der GVO-Kennzeichnungspflicht lässt sich eindrucksvoll darstellen, dass Label nicht nur zwischen bestehenden Verbraucherpräferenzen und einem bestehenden Angebot vermitteln. Sie sind auch in der Lage unsere Präferenzen und das Angebot, aus dem wär auswählen können, zu verändern. Aktuell wird kontrovers diskutiert, welchen Status Lebensmittel haben sollen, bei deren Herstellung genom-editierte Organismen zum Einsatz kommen. Handelt es sich bei Genome Editing (GE) um eine Variante der Gentechnik und muss diese daher gekennzeichnet werden? Oder ist ein freiwilliges Label, das Produkte als GE-frei kennzeichnet, besser geeignet, um Wahlfreiheit zu befördern? Anders gefragt: Ist die Entscheidung für oder wider ein genom-editiertes Produkt eine Frage der Lebensmittelsicherheit oder ein Ausdruck von Werten und Überzeugungen? Und gibt es Argumente, die grundsätzlich gegen eine Kennzeichnung von genom-editierten Lebensmitteln sprechen?

Grundsätzlich müssen wir davon ausgehen können, dass ein genom-editiertes Produkt, das bei uns auf den Markt kommt, keine Eigenschaften aufweist, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit führen. Das beinhaltet, dass sich durch seine Herstellung keine schädlichen Eigenschaften ergeben haben. Die Frage der Sicherheit muss also geklärt sein, bevor man über Kennzeichnung nachdenkt. Es stellt sich also die Frage, ob es andere Qualitätsmerkmale als die gesundheitliche Unbedenklichkeit gibt, die verpflichtend zu kennzeichnen sind und die durch den Einsatz von Genome Editing Technologien beeinträchtigt werden können.

Studien, wie die Fokusgruppenbefragung des Bundesinstituts für Risikoforschung zeigen, dass viele Menschen dem Einsatz von Genome Editing in der Landwirtschaft skeptisch gegenüberstehen. Neben Sicherheitsbedenken sind es vor allem Werte wie Natürlichkeit oder Gerechtigkeit, die sie durch die neuen Pflanzenzüchtungstechniken in Gefahr sehen. Es erscheint daher plausibel, dass es Hersteller geben könnte, die den Käufern ihrer Produkte freiwillig zusichern, dass sie auf zugelassene genomeditierte Komponenten verzichten. Auf diesem Wege ließe sich Wahlfreiheit für Verbraucher auch ohne eine verpflichtende Kennzeichnung herstellen. Zugleich vermeidet der Gesetzgeber eine wertorientierte Positionierung, für die es in einem liberalen Rechtsstaat einer ausgesprochen starken Begründung bedarf. Gerade weil sich eine solche freiwillige negative Kennzeichnung von Genome Editing an jene Verbraucher wendet, die ihre Entscheidung gegen genom-editierte Produkte bereits getroffen haben, reduziert sich die Gefahr der generellen normativen Beeinflussung.

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