Bericht zur Klausurwoche

Genome Editing in der Landwirtschaft – die Rolle des Vorsorgeprinzips

Die Debatte um den Einsatz von moderner Biotechnologie in der landwirtschaftlichen Züchtung ist im vergangenen Jahr wieder stark aufgelebt und fokussiert sich aktuell insbesondere auf den Bereich des Genome Editings (GE). Landwirtschaft und Ernährung sind Teil unserer (Werte-)Kultur und berühren unser persönliches Wohlbefinden. Es ist daher kaum überraschend, dass die Debatten um den Einsatz dieser Technologien viele ethische, sozioökonomische und auch politische Fragen aufwerfen.

Klausurwoche Vorsorgeprinzip

Studienhaus Gut Schönwag; Klausurwoche zu Genome Editing und der Rolle des Vorsorgeprinzips

Das Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften an der LMU München (TTN) hatte zu diesem Thema eine internationale, vom BMBF-geförderte Klausurwoche zum Thema „Regulation von Genome Editing in der Landwirtschaft – die Rolle des Vorsorgeprinzips“ veranstaltet. Vierzehn Nachwuchswissenschaftler/Innen aus verschiedenen Ländern trafen sich vom 02.-05. Oktober 2017 auf Gut Schönwag und diskutierten gemeinsam mit fünf eingeladenen Experten/Innen aus verschiedenen Fachbereichen, wie Biologie, Recht, Philosophie und Soziologie zentrale Fragen zum Einsatz von Genome Editing in der landwirtschaftlichen Züchtung. Im Fokus standen ethische, rechtliche und soziale Aspekte moderner Züchtungsmethoden und ihrer Anwendung in einer globalen Landwirtschaft.

Genome Editing ermöglicht schnelle, präzise und effiziente Züchtung

Unter dem Schlagwort Genome Editing werden verschiedene molekularbiologischen Methoden zusammengefasst, bei denen bestimmte Stellen in der DNA-Sequenz des Genoms eines Organismus gezielt angesteuert und verändert werden können. Dazu gehören Techniken wie Zinkfinger-Nukleasen, TALENs oder das neuartige CRISPR/Cas-System.

Anhand verschiedener Fallbeispiele aus der aktuellen Forschung erläuterten Molekularbiologen in ihren Vorträgen die Funktionsweise von Genome Editing (GE; insbesondere der CRISPR/Cas-Technologie) und die Unterschiede zu alternativen Züchtungsmethoden. Prof. Joachim Schiemann, ehemaliger Leiter des Instituts für Sicherheit biotechnologischer Pflanzen am Julius-Kühn-Institut, betonte in seinem Vortrag, dass Züchtung (seit Beginn des Ackerbaus) ein kontinuierlicher Prozess ist, der heutzutage mit Hilfe von Biotechnologie schneller, präziser und effizienter gestaltet werden kann. Er machte deutlich, dass moderne Züchtungstechnologien ein großes Potential für die Landwirtschaft haben. Genome Editing eröffnet neue Möglichkeiten um beispielsweise Pflanzensorten mit neuen Eigenschaften zu züchten, so dass diese besser an ihren Standort angepasst sind, resistent gegen Schädlinge und erhöhte Toleranz gegen Trockenheit oder andere Stressfaktoren aufweisen.

Wird das aktuelle Gentechnikgesetz der rasanten Entwicklung von Biotechnologie gerecht?

Genome Editing ermöglicht präzise Veränderungen in der DNA und ermöglicht, dass das endgültige Produkt keine gentechnische Veränderung aufweist und mitunter nicht von Züchtungen durch herkömmliche Methoden (z.B. Strahlen-TALEN (Transcription activator-like effector nuclease)Mutagenese) zu unterscheiden ist. Während die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der EU Verordnung 2001/18/EU klar definiert und streng reguliert wird, ist bislang ungewiss, wie Genome Editing klassifiziert werden soll.

Ist das aktuelle Gesetz zur Regulierung von Gentechnik und Genome Editing veraltet und muss überarbeitet werden oder umfasst es auch neuere technologische Entwicklungen? Diese Frage beschäftigte auch die Teilnehmer der Klausurwoche. Diskutiert wurden verschiedene Kriterien, die für eine Einordnung von Genome Editing als neue Pflanzensorte oder Tierrasse relevant sein könnten: Soll die Regulierung auf Grundlage des Herstellungsprozesses (process-based) oder des spezifischen gezüchteten Merkmals (product-based) erfolgen? Prof. Hans-Georg Dederer, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Passau, erläuterte die verschiedenen Optionen zur Regulierung von GVO und GE-Produkten.

Es stellt sich die Frage, ob das bestehende Gentechnik-Gesetz der EU neu interpretiert werden muss, um moderne Technologien wie Genome Editing zu erfassen: Wird Genome Editing in die Liste der Mutagenese-Methoden aufgenommen? Was bedeutet „unnatürlich“ im Falle von Genome Editing, wenn die Herkunft der Mutationen nicht festgestellt werden kann? Oder muss das Regelwerk vollkommen neu konzipiert werden? Am Europäischen Gerichtshof wird derzeit die Frage verhandelt, ob zielgerichtete Mutagenese als eine Züchtungstechnologie eingestuft wird, ähnlich zu chemischer oder Strahlen-induzierter Mutagenese. Die Gerichtsentscheidung zu dieser speziellen Frage, ob Genome Editing als Mutagenesetechnik eingestuft und damit vom Gentechnikgesetz ausgenommen ist, wird im Laufe des Jahres 2018 erwartet. Doch die Diskussion um moderne Züchtung und Nahrungsmittelproduktion wird damit nicht wohl beendet sein. Denn es geht bei der Diskussion um Gentechnik oder Genome Editing um viel mehr als um eine Züchtungsmethode und ihre Risiken für Umwelt und Gesundheit.

Gesellschaftliche Werte als Basis verantwortungsvoller Technologieentwicklung

Wie kann Technologieentwicklung in der modernen Gesellschaft gelingen? Einigkeit herrschte unter den Teilnehmern darüber, dass neue Technologien eine potentielle Anwendung und Nutzen für die Gesellschaft haben; Technologie ist immer ein Mittel zum Zweck. Strittig war jedoch auf welchem Weg die gesetzten Ziele erreicht werden sollen und welche Alternativen zum Einsatz moderner Züchtungstechnologien zur Verfügung stehen. Landwirtschaft in Europa und weltweit muss vielen Ansprüchen gerecht werden und soll neben der Produktion von ausreichend Nahrungsmitteln, die Umwelt schonen, das Landschaftsbild gestalten und den Landwirten eine Lebensgrundlage bieten. Wie schon in den vergangenen Debatten um Grüne Gentechnik hat sich auch auf der Klausurwoche gezeigt, dass es bei dem Thema Landwirtschaft und Ernährung schnell um das „Große Ganze“ geht und immer auch ethische und gesellschaftliche Fragen mitdiskutiert werden.

Welche Art der Landwirtschaft wollen wir? Welche Züchtungsziele werden durch bestimmte Technologie ermöglicht? Wie stark sollen wir eine Pflanze oder Tier verändern, um an unsere Bedürfnisse anzupassen? Was bedeutet „natürlich“ in diesem Zusammenhang? Während der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft von weiten Teilen der Gesellschaft abgelehnt wird, hat eine Diskussion über Genome Editing bislang noch nicht wirklich stattgefunden, wie Prof. Lynn Frewer, Professorin für Food and Society an der School of Agriculture in Newcastle, anmerkte. Insbesondere spiele die Wahrnehmung von Risiken eine zentrale Rolle. Wer die kontroverse Debatte um moderne Biotechnologie in der Landwirtschaft verfolgt, kann beobachten, dass Bilder, Zukunftsszenarien und kulturelle Prägungen entscheidende Faktoren sind. Eine Frage stand besonders im Mittelpunkt der Klausurwoche: Handelt es sich bei dieser Diskussion letztendlich auch um einen Wertekonflikt? Gesellschaftliche Interessen und Wertvorstellungen sind verwoben mit vergangenen Erfahrungen zu Lebensmittelproduktion, Umweltbewegungen, Skandalen, und beeinflussen die Einstellung zu neuen Technologien.

Einerseits wird eine unabhängige Risikoforschung gefordert. Andererseits wird Wissenschaftlern in der staatlich-geförderten, biologischen Sicherheitsforschung misstraut und die mangelhafte Kommunikation von technologischen Entwicklungen beklagt. Wissenschaft und Forschung sind kein einheitlicher Prozess und die Bewertung widersprüchlicher Studien ist für Nicht-Experten unmöglich. Umso wichtiger wäre es das Vertrauen in beteiligte Institutionen und Akteure zu stärken. Nach Ansicht von Dr. Helge Torgersen, Senior Scientist am Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, muss Technologieentwicklung in die Gesellschaft eingebettet sein und ihren Wertvorstellungen folgen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist neben einer umfassenden Reflektion gesellschaftlicher Wertvorstellungen und Bedürfnisse ein fest integrierter Ablauf, wie gesellschaftliche Interessen in die Entwicklung von Technologien eingebunden werden.

Das Vorsorgeprinzip spielt eine zentrale Rolle im Gentechnik-Gesetz

Das Vorsorgeprinzip ist eine weitverbreitete, allgemein akzeptierte Richtlinie in Nahrungsmittel- und Umweltgesetzen zum Umgang mit Ungewissheiten. Es kommt immer dann zum Einsatz, wenn es wissenschaftliche Hinweise dafür gibt, dass die Möglichkeit negativer Effekte durch die Anwendung bestimmter Maßnahmen oder Technologien besteht. Auf dieser Grundlage werden präventive Sicherheitsvorkehrungen gerechtfertigt, sofern diese angemessen, fair und nicht endgültig ausgelegt sind. In den Vorträgen und Diskussionen auf der Klausurwoche wurde schnell klar, dass das Vorsorgeprinzip kein einheitliches Konzept ist. Auch wenn es eine Definition für die Anwendung im rechtlichen Sinne gibt, wird das Vorsorgeprinzip in auch in anderen Disziplinen verwendet. Der Philosoph Hans Jonas spricht von einer „Heuristik der Furcht“, bei der im Zweifelsfall die schlechtere der besseren Prognose vorzuziehen ist und technologische Entwicklungen zu unterlassen, sofern wir die langfristigen Folgen nicht abschätzen können. Dieser ethische Handlungsauftrag berücksichtigt zukünftige Generationen und fordert einen verantwortungsvollen Umgang mit Technik. Interessanterweise soll diese Vorsicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakten-gestützten Prognosen erfolgen.

Es gab lebhafte Debatten darüber ob das Vorsorgeprinzip ein ausrangiertes Paradigma für politische Entscheidungen darstellt, das durch übermäßige Vorsicht bestimmte Grundrechte unserer Gesellschaft (z.B. Wahlfreiheit des Verbrauchers) einschränkt und wertvolle Innovationen verhindert. Dagegen wurde argumentiert, dass Vorsorge bzw. Vorsichtsmaßnahmen nicht notwendigerweise Innovationen verhindern. Oftmals ist es ratsam (gestützt auf wissenschaftlicher Risikoforschung) die Entwicklung einer Technologie soweit zu verzögern bis sie ausgereift ist und den gestellten Anforderungen und Ansprüchen wirklich gerecht werden kann. Nach dieser Auffassung muss das Vorsorgeprinzip in einen holistischen Ansatz integriert werden, in dem wünschenswerte Entwicklungen, beispielsweise für eine nachhaltigere Landwirtschaft oder erhöhte Resilienz in der Lebensmittelproduktion, evaluiert werden und der Beitrag einer neuen Technologie an diesen Entwicklungspfaden gemessen wird.

Prof. Angelika Kallhoff, Inhaberin des Lehrstuhls für Ethik der Universität Wien, ging noch einen Schritt weiter und forderte, dass es die Möglichkeit eines strikten Verbots von Technologien geben müsse, sofern diese den zuvor identifizierten Entwicklungszielen nicht entspreche. Unklar ist jedoch, wie dieser Prozess gestaltet werden kann. Wer setzt die Ziele und entscheidet über die Anwendung einer Technologie. Wer soll die Verantwortung dafür tragen? Nach EU-Recht gelten ausschließlich wissenschaftlich fundierte Sicherheitsrisiken als Argument, um – entsprechend dem Vorsorgeprinzip – spezielle Maßnahmen zu ergreifen und Verbote auszusprechen. Der Fokus auf Risiken für Umwelt und Gesundheit hebt die Bedeutung dieser Güter für die Gesellschaft hervor; jedoch schränkt er den Argumentationsspielraum für politische Entscheidungen stark ein. Dies kann zur Folge haben, dass Scheindebatten unter dem Mantel von Sicherheitsrisiken geführt werden und die zugrundeliegenden Streitpunkte nicht öffentlich verhandelt werden. Die Wissenschaft kommt dadurch in Zugzwang und soll durch Forschungs-basierte Risikoabschätzung die Unbedenklichkeit der Technologie nachzuweisen, wird aber die Debatte niemals zufriedenstellend beenden können.

Lebensmittelkennzeichnung als Ausweg aus der kontroversen Debatte

In den Diskussionen unter den Teilnehmern der Klausurwoche wurde deutlich, dass die gesellschaftliche Ablehnung nicht allein über Risiken zu erklären ist. Es müssen daher andere Perspektiven für eine konstruktive und reflektierte Debatte über Technologienutzung gefunden werden. Ein Vorschlag um die Kluft zwischen Wissenschaft und Werten zu überbrücken wurde intensiv diskutiert: Kann eine freiwillige Kennzeichnung von GE-Produkten dazu beitragen mehr Transparenz und Vertrauen in Nahrungsmittelproduktion und Forschung zu schaffen? Durch die Marktzulassung von GE-Produkten würden die Ergebnisse wissenschaftlicher Risikoforschung anerkannt und zugleich hätten die Konsumenten die Wahlfreiheit sich entsprechend ihrer Wertvorstellungen für ein Produkt und seine Herstellungsweise zu entscheiden. Die Details in der praktischen Umsetzung und welche Art von Kennzeichnung gewählt werden soll, sind nicht trivial und müssen weiter diskutiert werden.

Letztlich haben zwei Faktoren dazu beigetragen, dass der Einsatz von moderner Biotechnologie in der Landwirtschaft im Augenblick gegenwärtig so im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht: Zum einen wurden biotechnologische Züchtungsmethoden kontinuierlich weiterentwickelt, und zum anderen ist die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und die Ansprüche an Landwirtschaft gestiegen. Auch wenn bis dato unklar ist, nach welchen Maßstäben Genome Editing in der EU reguliert werden wird, unterliegen sämtliche landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel einer gewissenhaften Prüfung der europäischen Zulassungsbehörde EFSA. Biologische Sicherheitsforschung testet, ob molekulare Züchtungsmethoden absehbare Risiken mit sich bringen.

Darüber hinaus können neue Technologien einen Effekt auf ökonomische und soziale Strukturen mit sich bringen. Die Produktion von Nahrungsmitteln ist ein komplexes und stark vernetztes System, das nicht nur für die Produktion und den Vertrieb von Lebensmitteln verantwortlich ist, sondern auch Menschen emotional berührt und Teil der kulturellen Identität darstellt. Welche Argumente in der Diskussion um die Regulierung moderner Biotechnologie allgemein anerkannt und offiziell zugelassen werden, kann einen beträchtlichen Einfluss auf den Ausgang der Debatte haben. Das Nachdenken und Diskutieren ethischer Aspekte in der landwirtschaftlichen Züchtung kann ein wichtiger Beitrag dazu sein, um Technologieentwicklung zu kommunizieren, Transparenz zu schaffen, Vertrauen in die Wissenschaft stärken und letztendlich einen mehrheitsfähigen und durchführbaren Kompromiss in dieser Frage zu finden.

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