Grüne Biotechnologie und Welternährung –
Ein Workshop mit ausländischen Studierenden

Am Beispiel der Nährstoffanreicherung des Grundnahrungsmittels Cassava diskutierten Studierende vor allem aus Afrika, Asien und Lateinamerika die Fragen: Welchen Beitrag leistet die Forschung beim Problem der Mangelernährung? Stehen biotechnologische Methoden und die Interessen einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft unversöhnlich gegeneinander? Welche Rolle spielen Esskulturen? Der Workshop fand vom 8. bis 10. Februar 2013 im Studienhaus „Gut Schönwag“ (bei Wessobrunn) statt. Eingeladen hatte das Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften an der LMU München in Kooperation mit STUBE Bayern, dem Studienbegleitprogramm für ausländische Studierende der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

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Verschiedene Züchtungsverfahren werden vorgestellt, um den Studierenden Sachinformationen für die spätere Urteilsfindung anbieten zu können.

Foto: Institut TTN

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Die Studierenden beschäftigen sich in Kleingruppen mit der Möglichkeit der Züchtung von vitaminangereicherter Cassava.

Foto: Institut TTN

Das Teilnehmerfeld war entsprechend vielfältig: Es kamen 19 Studierende aus neun Ländern (China, Deutschland, DR Kongo, Kamerun, Palästina, Peru, Syrien, Tansania, Vietnam), die auf dem Workshop intensiv Anwendungsfragen „Grüner Biotechnologie“ im Kontext von Fragen der Welternährung diskutierten. Im Fokus stand die ernährungsbedingte Mangelernährung mit Vitamin A, die auf Dauer zu einer Erblindung führen kann. Dies ist in vielen Entwicklungsländern ein Problem. Diskutiert wurde der Einsatz biotechnologischer Verfahren, um Cassava als wichtiges Grundnahrungsmittel mit Provitamin A, einer Vorstufe von Vitamin A, anzureichern.

Nährstoffangereicherte Cassava

Die Problematik der ernährungsbedingten Mangelerscheinungen und die Möglichkeiten der Vitaminanreicherung von Cassava wurden anhand eines Fallbeispiels aus Nigeria behandelt. In Nigeria wurden im Jahre 2011 drei verschiedene Sorten vitaminangereicherter Cassava eingeführt. Diese Sorten wurden unter Einsatz der Technologie der Präzisionszüchtung (Smart Breeding) nach zehn Jahren der Züchtungsforschung für den nigerianischen Markt entwickelt. Die so entwickelten Sorten sollen ein Viertel des Tagesbedarfs an Vitamin A decken können. Auf dem Workshop wurde aber auch diskutiert, welche Chancen und Probleme sich bei der Züchtung einer Cassava ergeben könnten, bei der der Einsatz gentechnischer Verfahren dazu führt, dass nahezu der gesamte Tagesbedarf an Vitamin A gedeckt werden kann. Doch auch alternative Ansätze zur Bekämpfung des Vitaminmangels standen zur Diskussion wie etwa das Verteilen von Vitaminpräparaten (Nahrungsergänzungsmittel) oder einer Diversifizierung der Feldfrüchte hin zu vitaminreicheren Sorten.

Ethische Urteilsbildung aus der Sicht von Interessengruppen

An die Teilnehmer erging der Auftrag, sich zum Fallbeispiel aus Nigeria ein ethisches Urteil zu bilden und dabei mögliche Interessenkonflikte zu bearbeiten. Dazu wurden vier Gruppen gebildet, um die Sichtweise von verschiedenen, fiktiven Interessenvertretern einzunehmen: (1) einem deutschen Entwicklungsdienst, (2) einer deutschen Forschungsstiftung, (3) einem nigerianischen Ärzteverband und (4) einer nigerianischen Kleinbauernvereinigung. Die Gruppen sollten die verschiedenen Möglichkeiten der Vitaminanreicherung von Cassava beurteilen und zu einer Entscheidung kommen, ob sie für ein bestimmtes Verfahren votieren oder eine Alternative vorschlagen würden.

Dazu stand den Gruppen umfangreiches Informationsmaterial zur Verfügung, das ihnen die notwendigen Sachinformationen für die Urteilsfindung bieten sollte. Außerdem konnten sich die Gruppen weitergehende Aspekte mit Hilfe des Webportals pflanzen-forschung-ethik.de erarbeiten. Ergänzt wurde die Gruppenarbeit durch drei thematische Vorträge: (1) Eine Einführung in das Webportal; (2) eine Übersicht zum Problem des ernährungsbedingten Vitaminmangels sowie die Möglichkeit, darauf mit Züchtungsverfahren (klassische Züchtung, Präzisionszüchtung, Gentechnologie) zu reagieren; (3) eine Einführung in Grundfragen anwendungsorientierter Ethik und ihrer Methoden.

Die Gruppenarbeit gliederte sich in mehrere Phasen, die sich an ein Schema ethischer Urteilsbildung anlehnten. Zunächst entwickelten die vier Gruppen das Profil ihres jeweiligen Stakeholders und überlegten sich eine Position. Eine zweite Phase diente der Entwicklung der Argumentation des jeweiligen Stakeholders. Die hier entwickelten Argumente wurden in einer dritten Phase abgewogen, um die aus der Sichtweise des jeweiligen Stakeholders wichtigsten Argumente hervorzuheben.

Interessenausgleich in einer „parlamentarischen Beratung“

Die Festlegung auf eine bestimmte Position bezüglich der Vitaminanreicherung von Cassava erfolgte in einer vierten und letzten Phase. Im Anschluss stellte jede Gruppe in einer fiktiven parlamentarischen Beratung die für den jeweiligen Stakeholder entwickelte Position in einem 15-minütigen Vortrag vor. In einer inszenierten parlamentarischen Sitzung wechselten die Teilnehmenden aus jeder Gruppe im Anschluss die Rollen: Aufgabe war es nun, als Parlamentarier die eigene Position gegenüber der Regierung zu vertreten, die eine Entscheidung zu treffen hatte, ob vitaminangereicherte Cassavapflanzen biotechnologisch entwickelt oder Alternativen überlegt werden.

Biotechnischer Fortschritt, Ernährungsaufklärung und regionale Landwirtschaft – ein Widerspruch?

Die Voten der Interessengruppen und die „parlamentarische“ Diskussion waren vor allem durch das Bestreben geprägt, für das komplexe Problem des Vitaminmangels nicht einen „Königsweg“ zu wählen, sondern für die Lösung der Mangelernährung mit mehreren Optionen gleichzeitig zu arbeiten. Bei der Frage möglicher Risiken wurde in einigen Voten herausgestellt, dass eine gentechnische Anreicherung von Cassava nach wie vor die Unsicherheit mit sich bringe, ob diese nicht doch zu gesundheitlichen oder ökologischen Schäden führe. Auch wenn konkrete Risiken nicht genannt werden konnten, zogen die potenziellen Vorteile einer innovativen Technologie gegenüber dem Vorsichtsprinzip zumeist den Kürzeren. Zahlreiche Teilnehmer aus Afrika argumentierten darüber hinaus, dass die „Verbesserung“ eines Grundnahrungsmittels in den Kulturen vor Ort immer auch das Problem einer möglichen Entwertung der Güte dieses Nahrungsmittels zur Folge haben könnte. Erst müsse durch geeignete Maßnahmen in Aufklärung und Bildung das Bewusstsein für die Vorteile dieser „Verbesserung“ geschaffen werden, bevor Forschung und Technik dazu Angebote schaffe. Das koste jedoch Zeit und die Frage stand im Raum, wie bis dahin mit dem großen Problem des Vitaminmangels umzugehen sei. Auch die alternative Strategie der Verteilung von Vitaminpräparaten wurde diskutiert, von vielen Teilnehmenden – gerade aus Afrika – dieser Weg aufgrund möglicher Vorbehalte in der Bevölkerung jedoch ebenfalls als kritisch betrachtet.

Mit Blick auf eine langfristige Lösung sahen viele Teilnehmende Vorteile in einer Veränderung der Anbaukultur in Nigeria hin zu vielfältigen vitamin- und mineralstoffreichen Nahrungsmitteln. So könne das Grundnahrungsmittel durch Vitamin A-reiches Obst und Gemüse ergänzt werden. Dies sollte mit Ernährungsaufklärung für ein besseres Konsumverhalten verbunden werden. Gerade in einer Verbesserung der Bildung und vermehrter Aufklärung meinten die Teilnehmenden daher einen Schlüssel für die künftige Bekämpfung von vitaminbedingter Mangelernährung zu erkennen.

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