Gentechnik für Kleinbauern?
Ein Workshop zur ethischen Urteilsfindung

Ist es richtig, gentechnisch veränderte vitaminreiche Cassava in Afrika auf den Markt zu bringen, um Mangelerkrankungen zu bekämpfen? Sollen in Brasilien Bohnen mit gentechnisch herbeigeführter Virusresistenz angebaut werden, um Ernteverluste zu verringern? Darüber diskutierten Studierende aller Fachrichtungen auf dem Workshop „We seed the world“ vom 18. bis zum 20. Februar 2013. Dazu eingeladen hatten das Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften in München und die Evangelische Akademie Tutzing.

Evangelische Akademie Tutzing

Der Workshop „We seed the world“ (18.–20.02.2013) fand in der Evangelischen Akademie Tutzing statt.

Foto: Institut TTN

Tutzing-Kleingruppen

In Kleingruppen erarbeiteten die Studierenden ethische Urteile zur Einführung von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen in Nigeria und Brasilien.

Foto: Institut TTN

Tutzing-Debatte im Plenum

Im Plenum wurden Argumente für und gegen gentechnisch veränderte Cassava und Pintobohne vorgetragen. Am Schluss wurde abgestimmt.

Foto: Institut TTN

Auch nach fünfzehn Jahren Diskussion über die „Grüne Gentechnik“ scheiden sich die Geister an der Frage, ob die Anwendung biotechnologischer Methoden in der Pflanzenzüchtung zur Sicherung der Welternährung beitragen kann. Vordergründig wird viel um Sicherheit, Wahlfreiheit und Patentierung gestritten, aber es geht fast immer auch um ethische Fragen, etwa: Was darf der Mensch? Ist die Freiheit der Wissenschaft grenzenlos? Wie kann globale Ernährungsgerechtigkeit erreicht werden?

An zwei konkreten Beispielen sollten die Teilnehmer des Workshops diese unterschiedlichen Ebenen herausarbeiten und zu einem begründeten ethischen Urteil finden. Im Fokus standen zwei gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, die derzeit mit öffentlichen Mitteln oder Stiftungsgeldern für lokale Märkte in Entwicklungs- und Schwellenländern entwickelt werden. Um Vitamin A-Mangel in Afrika zu bekämpfen, wird die Cassava, eine Grundnahrungspflanze in vielen afrikanischen Ländern, gentechnisch so verändert, dass sie in ihren Wurzeln Provitamin A bildet. Diese Arbeiten finden an mehreren Forschungsinstituten in den USA, Europa und Afrika statt und werden von der Gates Foundation finanziert. In Brasilien hat das nationale Agrarforschungsinstitut EMBRAPA die Pintobohne, ein Grundnahrungsmittel der einheimischen Bevölkerung, gentechnisch so verändert, dass sie resistent ist gegen ein Virus, das in den letzten Jahren immer größere Ernteausfälle verursacht hat. Brasilien muss Bohnen importieren, um die Nachfrage im Land zu decken.

Der Prozess der ethischen Urteilsbildung

In den Vorträgen des ersten Tages informierten vier Wissenschaftler über die beiden Projekte und über sozioökonomische Aspekte des Anbaus transgener Nutzpflanzen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Für die darauf folgende Gruppenarbeit, die den zweiten Tag in Anspruch nahm, wurde den Teilnehmern eine abgestufte Vorgehensweise vorgeschlagen, mit der nachvollziehbar wird, wie und warum ein bestimmtes ethisches Urteil entsteht: Am Anfang steht das Sammeln der empirischen Fakten, die Identifikation der beteiligten Interessengruppen und die Klärung der gesellschaftlichen, historischen und kulturell-weltanschaulichen Kontexte der Streitfrage. Darauf folgt die Benennung des moralischen Problems und die Identifikation der Normen und Werte, die den vorgebrachten moralischen Argumenten zugrundeliegen. Am Ende steht schließlich die Gewichtung der verschiedenen Argumente, die zu einer Entscheidung führen soll. Für einen „Debating Club“ am dritten Tag wurden die Teilnehmer dann nochmals in vier neue Gruppen eingeteilt, die eine Pro- oder Contra-Position zu einer der beiden Nutzpflanzen vertreten mussten.

Grundsätzliches zur Grünen Gentechnik

In der Diskussion am zweiten Tag waren die Teilnehmer schnell bei grundsätzlichen Fragen zur Grünen Gentechnik. Ein viel diskutiertes Thema war die Sicherheit für Umwelt und Gesundheit. Auch wenn es kontrovers zuging, wurde man sich zumindest einig, dass Sicherheitsforschung niemals alle Risiken antizipieren kann und dass es letztlich eine politische Entscheidung ist, ob eine „Rest-Unsicherheit“ in Kauf genommen wird. Intensiv diskutiert wurde auch über „Natürlichkeit“, die „Bewahrung der Schöpfung“ und die „Würde der Kreatur“: Ist Gentechnik unnatürlicher als andere Methoden der Pflanzenzüchtung? Ist es nicht eine natürliche Eigenschaft des Menschen, seine Umwelt zu verändern? Und ist nicht auch konventionelle Landwirtschaft ein massiver Eingriff in die Natur? Steht der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen im Einklang mit der Bewahrung der Schöpfung? Und stehen menschliche Interessen – sei es nun Profit oder Ernährungssicherung – über der „Würde der Pflanze“?

Problemlösung oder Bekämpfung von Symptomen?

Bei der Vorbereitung für den „Debating Club“ wurde es dann konkreter. Die beiden Gruppen, die am letzten Tag versuchen mussten, das Publikum von der Einführung der beiden gentechnisch veränderten Pflanzen zu überzeugen, argumentierten damit, dass man eine effiziente Lösung für ein konkretes Problem habe und dass es verantwortungslos sei, den Menschen vor Ort diese Problemlösung vorzuenthalten. Die beiden Gruppen, die dagegen argumentieren mussten, zielten darauf ab, dass Gentechnik nur Symptome und keine Ursachen bekämpfe: In Nigeria würden Mangofrüchte, die reich an Provitamin A sind, für den Export angebaut, während die einheimische Bevölkerung an Vitamin A-Mangel leide. In Brasilien habe die massive Zunahme des Sojaanbaus in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren überhaupt erst dazu geführt, dass sich die Weiße Fliege, die das Bohnenmosaikvirus überträgt, so massiv ausbreiten konnte. Das Problem, dass Brasilien ein Grundnahrungsmittel für die eigene Bevölkerung einführen müsse, sei im Zusammenhang mit dem massiven Export von Agrarrohstoffen aus Brasilien zu sehen.

Vielfalt der Handlungsoptionen, Vielfalt der Standpunkte

Einig waren sich alle Workshop-Teilnehmer, dass der Anbau von gentechnisch veränderter Cassava oder Pintobohne keine isolierte Maßnahme sein könne, sondern eingebunden sein müsse in umfassende Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in den betreffenden Ländern, wie etwa Projekte zum Infrastrukturausbau. Auch müsse gewährleistet sein, dass das Saatgut den Kleinbauern dauerhaft ohne Lizenzgebühren zur Verfügung steht. Einigkeit bestand auch darüber, dass die lokale Landwirtschafts- und Ernährungskultur erhalten und respektiert werden müsse und dass die Bevölkerung in die Entscheidung für oder gegen den Anbau der jeweiligen Nutzpflanze einbezogen werden müsse.

Die Abstimmungen nach dem „Debating Club“ fielen ausgewogen aus: Die Abstimmung über Cassava endete mit einer Pattsituation, bei der Abstimmung über die virusresistente Bohne gab es eine knappe Mehrheit für die Bohne. Bei den Teilnehmern blieb die Erkenntnis, dass es für ein fundiertes ethisches Urteil unerlässlich ist, sich auf andere Standpunkte einzulassen und dass es bei der ethischen Urteilsfindung kein einfaches „richtig“ oder „falsch“ geben kann.

Dieser Artikel erschien auch auf dem Webportal Pflanzenforschung.de.

Drucken Versenden