Angemessenheit des Risiko-Nutzen-Verhältnisses

Die neuen Gentechniken des Genome-Editing gelten im europäischen Recht bisher als Risikotechnologien. Ob dies sachgemäß ist, wird derzeit kontrovers diskutiert. Wie kann man Risiken in Handlungssituationen ermitteln? Welches Verständnis von Vorsorge soll dabei leitend sein und welche Rolle spielen ökonomische Abwägungen von Schaden und Nutzen? Es gibt vielen Gründe, warum beim Einsatz der neuen Züchtungsmethoden in der Landwirtschaft unterschiedliche ethische Beurteilungen anzutreffen sind.

Von einem Risiko spricht man, wenn eine Handlungssituation als komplex, unsicher und uneindeutig wahrgenommen wird. Diese drei Charakteristika beziehen sich nicht intrinsisch auf das Risiko selbst, sondern auf das Wissen, das wir über ein Risiko besitzen. Uneindeutigkeit bezieht sich auf die Festlegung der Schadensdimension, Komplexität und Unsicherheit auch auf die Ermittlung der Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Schadens und auf die kausale Verknüpfung von Schadensereignissen und Ursachen. Dabei verändert sich die Risikowahrnehmung signifikant, wenn diese Situation als neu erscheint. Weil hier Erfahrungswissen über weite Strecken fehlt, steigert sich die Wahrnehmung eines Risikos in dem Maße, in dem die Technologie als einzigartig eingeschätzt wird. Das Neue wird mitunter nicht mehr nur als Risiko, sondern als unbestimmte Gefahr wahrgenommen, wenn es nicht gelingt, die Parameter der Risikokalkulation in Analogie zu bereits bekannten Situationen zu spezifizieren.

Der Risikovergleich im europäischen Gentechnikrecht

Die Risiken einer neuen Technologie, aber auch eines neuen Produktes oder einer neuen Tätigkeit werden nicht absolut, sondern vergleichend bewertet.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Risikoforschung zur absichtlichen Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) in die Umwelt sich auf die Frage konzentriert, inwiefern damit verbundene mögliche Risiken spezifisch auf den Einsatz der Technik zugerechnet werden können. Die Risiken einer neuen Technologie, aber auch eines neuen Produktes oder einer neuen Tätigkeit werden aber nicht absolut, sondern vergleichend bewertet. Unter einem Risikovergleich versteht man dabei den Vergleich eines mehr oder weniger unbekannten mit einem bekannten Risiko. Die Umweltverträglichkeitsprüfung der EU-Freisetzungsrichtlinie 18/2001, die mögliche schädliche Auswirkungen von GVO auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu ermittelt hat, sieht vor, dass diese in fundierter und transparenter Weise auf der Grundlage wissenschaftlicher und technischer Daten durchzuführen ist. Um potenzielle Risiken zu bewerten, bestimmt die Richtlinie, dass eine wissenschaftliche Risikobewertung immer vergleichend vorzugehen hat: „Die etwaigen schädlichen Auswirkungen erkannter Merkmale von GVOs und deren Verwendung sind mit den etwaigen schädlichen Auswirkungen der ihnen zugrunde liegenden, unveränderten Organismen und deren Verwendung in einer entsprechenden Situation zu vergleichen.“

Kritiker des Einsatzes gentechnischer Methoden in der Pflanzenzüchtung halten die Methode des Risikovergleichs für nicht ausreichend, weil sie von einer nicht-kalkulierbaren Gefahr ausgehen. Sie unterstellen ein sogenanntes Basisrisiko, das sie mit der Neuheit der Technik begründen. Doch die Folgen der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen sind seit Jahrzehnten international gut untersucht. Dabei zeigen sowohl die europaweit geförderten als auch die nationalen Forschungsprogramme zur biologischen Sicherheitsforschung übereinstimmend, dass der Einsatz gentechnischer Methoden bei Pflanzen an sich keine größeren Risiken für Umwelt und Gesundheit birgt als konventionelle Methoden der Pflanzenzüchtung. Dieser Befund erstreckt sich sowohl auf Fragen eines gentechnikspezifischen Schadensumfangs als auch auf den Aspekt der Wahrscheinlichkeit eines Schadens.

Das Vorsorgeprinzip und das Risiko des Nichttätigwerdens

Weil insbesondere die CRISPR/Cas9-System-Methode erst seit einigen Jahren bekannt sind, stellt sich aufgrund ihre Neuheit gleichwohl die Frage, in welcher Weise das Vorsorgeprinzip zur Anwendung kommen soll, das ein grundlegendes Prinzip des deutschen, europäischen und internationalen Umweltrechts ist. Nach dem Vorsorgeprinzip sollen die denkbaren Belastungen bzw. Schäden für die Umwelt bzw. die menschliche Gesundheit im Voraus vermieden oder weitestgehend verringert werden, auch wenn die Wissensbasis unvollständig ist. In ethischer Hinsicht wird die allgemeine Anerkennung dieses Prinzips oft mit dem Hinweis auf eine bahnbrechende Studie von Hans Jonas begründet. In „Das Prinzip Verantwortung“ (1979) plädierte er für eine „Heuristik der Furcht“, die angesichts der grundsätzlichen Unsicherheit von Zukunftsprojektionen dazu rät, im Zweifel immer der schlechten Prognose den Vorrang vor der guten zu geben. Allerdings will diese Maxime ausdrücklich nicht die Bedeutung evidenzbasierten Wissens für die Risikoforschung in Frage stellen. Vielmehr ist ihre Anwendungen auf solche Techniken bezogen, bei deren Einsatz das Überleben der Menschheit als Ganze auf dem Spiel steht. In solchen Situationen genügt nach Jonas die bloße Möglichkeit eines globalen Unheils, um den Einsatz einer neuen Technologie zu verhindern. Dagegen hat man eingewandt, dass die Anwendung eines solchen kategorischen Prinzips jegliche Abwägungen von Schaden und Nutzen bei neuen Techniken unmöglich macht und vor allem die Pflicht zur Zukunftsvorsorge unvollständig beschreibt. Denn auch das Nichttätigwerden angesichts von drohenden Schadensereignissen birgt Risiken, die die Vorsorge für die Zukunft unterminieren kann.

Nach dem Vorsorgeprinzip sollen die denkbaren Belastungen bzw. Schäden für die Umwelt bzw. die menschliche Gesundheit im Voraus vermieden oder weitestgehend verringert werden, auch wenn die Wissensbasis unvollständig ist.

Welches Verständnis von Vorsorge soll nun für den Umgang mit potenziellen Risiken der neuen Züchtungstechnologien leitend sein? Bei der Frage der Angemessenheit des Risiko-Nutzen-Verhältnisses stehen sich Vertreter eines starken Verständnisses und Befürworter eines schwachen Verständnisses von Vorsorge gegenüber. Während erstere grundsätzlich der Ansicht sind, dass die Ungefährlichkeit einer Technologien durch den Antragsteller bzw. die regulierende Behörde erwiesen werden muss, wenden letztere dagegen ein, dass es schon aus erkenntnistheoretischen Gründen unmöglich ist, einen „Beweis“ für das Nichtvorhandensein möglicher Risiken zu erbringen. Vielmehr kann eine solche „Beweislastumkehr“ für die Ungefährlichkeit einer Technologie nur dann gerechtfertigt werden, wenn der mögliche Schaden unabhängig von der Eintrittswahrscheinlichkeit sehr hoch ist. Dass die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen etwas Neues ist, reicht also nicht aus, die Beweislast im Sinne des starken Vorsorgeprinzips den Befürworter ihres Einsatzes aufzubürden.

Die bisherige Regelungspraxis im Umgang mit der Freisetzung von GVOs folgt der Sache nach eher der Lesart des schwachen Vorsorgeprinzips. Zwar wird in der EU-Freisetzungsrichtlinie 18/2001 ausgehend von einem sehr weiten Verständnis eines „genetisch veränderten Organismus […], dessen genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist“ (Art 2, Abs. 2) ein grundlegender Regulierungsvorbehalt gegenüber jeder Form menschlich induzierter Mutagenese ausgesprochen. Ob dieser tatsächlich zum Einsatz kommt, hängt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) allerdings davon ab, ob die Mutagenesetechniken „seit langem als sicher gelten“ können, was im Falle der konventionellen Mutagenese durch Strahlung oder chemische Behandlung als gegeben angesehen wird. Deshalb kommt bei diesen Techniken einer ungerichteten Mutagenese die gentechnikspezifische Umweltverträglichkeitsprüfung auch nicht zur Anwendung. Wenn aber neue Methoden einer gerichteten Mutagenese wie die neuen Genome Editing-Technologien nach der überwiegenden Auskunft der Molekularbiologie mit denjenigen vergleichbar sind, die bisher mangels eines feststellbaren Sicherheitsrisikos von der Regulierung ausgenommen wurden – warum sollten die neuen Technologien anders behandelt werden als die etablierten?

Es ist offensichtlich: Allein aus wissenschaftlichen Gründen lässt sich eine unterschiedliche Behandlung der gerichteten und der ungerichteten Mutagenese nur schwer begründen. Zugleich macht die aktuelle Diskussion um die Regulierung der neuen Züchtungstechnologien deutlich, dass mit dem Anspruch der Zukunftsvorsorge mehr verbunden ist als eine bloße Risikobewertung. Daher benennen die Empfehlung der EU-Kommission „Zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips“ (2000) weitere allgemeinen Grundsätze wie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Diskriminierungsverbot und das Kohärenzgebot, aber auch die Notwendigkeit zur Überprüfung der Risikobewertung durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse als Bestandteile des Vorsorgeprinzips. Und schließlich fordert sie auch eine Abwägung der mit einem Tätigwerden oder Nichttätigwerden verbundenen Vor- und Nachteile und empfehlen, diese auf dem Wege einer wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen.

Technikfolgenabschätzung und der Umgang mit Güterkonflikten

Diese ökonomische Abwägung von Schaden und Nutzen geht weit über ein naturwissenschaftlich fundierte Risikobewertung hinaus und erfolgt daher im Rahmen einer so genannten Technikfolgenabschätzung. Diese macht die soziale Dimension einer Risikowahrnehmung zum Thema und bezieht in ihre Analyse die gesellschaftlichen Faktoren, die sich aus der Unterschiedlichkeit der Interessensgruppen ergeben, mit ein. Dabei spielen aber auch kulturelle Grundierungen des Konflikts eine Rolle, die sich im Falle der Gentechnik zu weltanschaulichen Positionen und starken Überzeugungen steigern können. In diesem Feld spielen zunächst Fragen einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Landwirtschaft eine zentrale Rolle. Dabei geht es sowohl um die Möglichkeiten, robuste und widerstandsfähige Nutzpflanzen schneller zu züchten als auch um die Entwicklung neuer, standortangepasster und ertragreicher Sorten. Aber auch die Verbesserung der globalen Ernährungssicherheit ist ein zentrales Argument, warum neue Züchtungsverfahren als innovative Technologien diskutiert werden. Und selbst der Biolandbau könnte davon profitieren, weil sein Anliegen einer ressourcenarmen und gleichzeitig ertragssicheren Landwirtschaft durch die neue Züchtungstechniken besser wahrgenommen werden könnte. All diese potenziellen Vorteile eines Einsatzes der neuen Genome Editing-Technologien sind gegenwärtig freilich umstritten, weil sich unterschiedliche Landwirtschaftssysteme „mit und ohne Gentechnik“ in einem Konkurrenzverhältnis befinden. Diese Rivalität, die nicht zuletzt auch ökonomisch bedingt ist, gehört neben den evidenzbasierten Urteilen der Naturwissenschaften ebenfalls zu den „harten“ Fakten des Konflikts. Zugleich erscheint es angesichts der großen Herausforderungen einer zukünftigen Landwirtschaft dringend, die gemeinsamen Schnittflächen beim Interesse an einer ökologisch und ökonomisch innovativen Landwirtschaft in den Blick zu bekommen.

Letztlich ist das Problem des Güterkonflikts mit ethischen Argumenten nicht zu entscheiden, sondern Aufgabe einer politischen Abwägung. Gleichwohl stellen die Güter so etwas wie Ankerpunkte dar, auf denen konkrete Bestimmungen eines Schadens oder Nutzens aufsitzen. Politische Kompromisse können von dieser Einsicht profitieren.

Aber nicht nur konfligierende Interessen, sondern auch unterschiedliche Wertvorstellungen über den Charakter eines naturschonenden Anbaus von Nutzpflanzen sind für die Differenzen bei der Schaden-Nutzen-Analyse von Relevanz. Darum benötigt eine kulturell reflektierte Technikfolgenabschätzung auch eine sozialethische Betrachtung. Werte wie Natürlichkeit und Biodiversität, aber auch das Gut der unternehmerischen Freiheit haben Einfluss auf die Abwägung von Schaden und Nutzen und machen verständlich, warum der Einsatz der neuen Züchtungsmethoden unterschiedlich bewertet wird. Studien zu Ertrag und Resistenzen sowie zur Qualität und anderen agronomischen Eigenschaften können hier zwar zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen. Doch ihr Beitrag für die öffentliche Konsensfindung zum Thema ist in dem Maße begrenzt, als auch noch andere kulturelle und sozialmoralische Orientierungen von Landwirten, aber auch Verbrauchern eine Rolle spielen. Was kann eine Güterabwägung als Thema einer ethischen Bewertung hier leisten? Im Unterschied zur Kosten-Nutzen-Analyse, die Risiken vergleichbar macht, indem sie herausfindet, welche monetären Werte gewöhnliche Menschen diesen Risiken zuschreiben, rücken Güter die geschichtlich gewachsenen Orientierungen einer Gesellschaft in den Mittelpunkt. Die Untersuchung solcher ethischen Grundelemente reflektiert also auf das Gewordensein ganz bestimmter Werte, die wertvoll sind, weil Menschen die Erfahrung gemacht haben, dass diese Werte den Zusammenhalt und die Fähigkeit zur Kooperation in ihrer Gesellschaft fördern. Deshalb haben sie Einfluss auf die Aufstellung von Zielen, die sich pragmatische Handlungsentscheidungen verpflichtet wissen. Die in dieser Studie vorgestellten ethischen Grundelemente widmen sich einigen dieser „Güter“, deren Verständnis nicht zuletzt für die inhaltliche Konturierung der Konflikte um die neuen Züchtungstechniken und ihrem Einsatz in einer modernen Landwirtschaft von Bedeutung ist. Die Grundelemente artikulieren ethische Handlungsorientierungen, die über eine reine Zweckrationalität hinausgehen, weil sie darüber hinaus auch Werte verständlich machen, die um ihrer selbst willen als anerkennungsfähig gelten. In ihrer Vielzahl und Heterogenität machen sie zugleich deutlich, dass sie auf dem Wege einer Güterabwägung nur schwerlich in eine Werthierarchie zu bringen sind. Letztlich ist dieses Problem mit ethischen Argumenten nicht zu entscheiden, sondern Aufgabe einer politischen Abwägung. Gleichwohl stellen die Güter so etwas wie Ankerpunkte dar, auf denen konkrete Bestimmungen eines Schadens oder Nutzens letztlich aufsitzen. Politische Kompromisse zwischen unterschiedlichen Schlussfolgerungen einer Kosten-Nutzen-Analyse können von dieser Einsicht profitieren, denn die historisch-ethische Würdigung von Güterkonflikten macht deutlich, dass diese nicht absolut bestehen, sondern wegen ihres zeitbedingten Charakters das Potenzial haben, aufgrund neuer gesellschaftlicher Lagen für Kompromisse anschlussfähig zu sein.

Stephan Schleissing


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