Unternehmerische Freiheit

Wo über Reformen für eine nachhaltige Landwirtschaft diskutiert wird, da hört man oft den Satz: Das ganze System muss sich ändern. Doch in arbeitsteiligen Gesellschaft agieren ganz unterschiedliche Akteure, deren Handeln deshalb auch verschiedenen Interessen folgt. Das erklärt auch, warum sich Befürworter wie Kritiker eines Einsatzes von GVO in der Landwirtschaft unversöhnlich gegenüberstehen. Will hier hinsichtlich der Nachhaltigkeit Fortschritte erzielen, dann ist es notwendig, nicht nur die Möglichkeiten der sogenannten Koexistenz kritisch auszuloten, sondern auch Freiräume für innovatives Handeln zu eröffnen.

Wer unternehmerisch handelt, bindet die Setzung eines Handlungsziels aufs Engste an die Chancen seiner Verwirklichung. Ein solches Vorgehen ist nicht auf bestimmte berufliche Tätigkeiten oder Branchen beschränkt. In gewisser Weise ist es für jedes Handeln charakteristisch, das auf Eigeninitiative und Kreativität setzt und nicht lediglich umsetzt, was andere zuvor beschlossen haben. Je mehr man sich darauf einlässt, etwas Neues zu erfinden bzw. herstellen, umso deutlicher tritt dabei ins Bewusstsein, dass dieses Handeln auf Zukunftsoffenheit angewiesen ist.

Die Einsicht in die nur begrenzte Planbarkeit der Zukunft, die im Falle des Risikos zum Problem bzw. zur Bedrohung werden kann, fungiert für das unternehmerische Handeln zum Stimulanz für Innovation. Die dadurch eröffnete Freiheit begründet zugleich die Verantwortung für die Folgen, die das Handeln nicht nur ermöglicht, sondern zugleich begrenzt. Zu einer Innovation kommt es dabei nicht schon durch neue Ideen, sondern erst in einem Prozess der kontrollierten Entwicklung und Durchsetzung einer Erfindung, die sich auf dem Markt oder in anderen Nutzungskontexten bewähren muss. Dabei lernen die beteiligten Akteure, mit dem Neuen umzugehen, unbeabsichtigte Folgen zu kontrollieren und daraus Gewinn zu erzielen, sofern die Erfindung sich als praxistauglich erwiesen hat.

Warum Nachhaltigkeit und Innovation keine Gegensätze sein müssen

Josef Schumpeter hat diesen durch den Unternehmer angeregten Prozess der Erneuerung und Verdrängung als „schöpferische Zerstörung“ beschrieben und daraus eine eigene Theorie der Innovation entwickelt. Diese tritt nicht zufällig auf, sondern verdankt sich einem kreativen Gestaltungsanspruch. Dabei entsteht etwas Neues durch die Kombination von bereits Bekanntem und erstreckt sich sowohl auf die Einführung neuartiger Produktionsmethoden als auch die Erschließung neuer Absatzmärke, die Umsetzung einer Neuorganisation oder die Herstellung eines neuen Produkts.

Die Einsicht in die nur begrenzte Planbarkeit der Zukunft, die im Falle des Risikos zum Problem bzw. zur Bedrohung werden kann, fungiert für das unternehmerische Handeln zum Stimulanz für Innovation.

Potenziell konfliktträchtig ist diese Theorie der Innovation bei Schumpeter, weil sie davon ausgeht, dass sich Innovationen nicht kontinuierlich durchsetzen, sondern diskontinuierlich auftreten. Indem er so das disruptive Moment der Innovation in den Vordergrund rückt, wird dabei zugleich die evolutionäre Perspektive von ihm unterbelichtet. Denn es ist durchaus nicht gleichgültig, wie man die Angewiesenheit sowohl der institutionellen als auch sozialen Voraussetzungen beschreibt, die eine solche unternehmerische Neukombination erst ermöglichen. Geht man davon aus, dass Innovationen sich nicht einfach blind durchsetzen, sondern ihre Akzeptanz erst in einem ökonomischen und gesellschaftlichen Lernprozess erhalten, dann erscheint sowohl die starke Fixierung auf eine Unternehmerpersönlichkeit als auch die notwendige Kopplung von „Neuschöpfung“ und „Zerstörung“ als zu einseitig. In der Bioökonomie wird deshalb gegenwärtig die Betonung daraufgelegt, dass Innovation und Nachhaltigkeit keine Gegensätze sein müssen: Indem die Bioökonomie z.B. den Aspekt der Ressourcenschonung und der Resilienz in ihr Programm aufnimmt, wird versucht, Bewährtes und Neues zu verbinden. Auf diesem Weise folgt sie der grundlegenden Einsicht, dass Innovation eine Bedingung der Selbsterhaltung der Menschheit im Verlauf ihrer Evolution ist.

Die Verleihung des Chemie-Nobelpreis 2020 an die beiden Molekularbiologinnen und Erfinderinnen des CRISPR/Cas-Verfahrens, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, sorgte weltweit dafür, dass diese Technik des Genome Editing als zentrale wissenschaftliche Innovation wahrgenommen wurde. Gegenwärtig weist viel darauf hin, dass der Einsatz dieser Technologie in der Pflanzenzüchtung als ein zentrales Instrument fungiert, um die künftige Landwirtschaft nachhaltig gestalten zu können. Allerdings zeigen die aktuellen Diskussionen um die europäische Regulierung dieser und anderer moderner Gentechniken, dass weniger mögliche Risiken, sehr wohl aber das Nebeneinander unterschiedlicher Märkte zum Problem werden, weil bestimmte Anbieter landwirtschaftlicher Erzeugnisse die Qualität ihrer eigenen Produkte damit bewerben, dass sie ohne den Einsatz von Gentechnik entstanden sind. Diese Märkte sind Bestandteile von Ernährungskulturen, in denen Verbraucher und Landwirte die Herstellung bzw. den Konsum von Produkten deshalb als gesundheitsfördernd und natürlich ansehen, weil sie ohne den Einsatz von GVOs hergestellt worden sind.

Kann eine Koexistenz unterschiedlicher Landwirtschaftskulturen gelingen?

Die Frage, ob guter landwirtschaftlicher Anbau mit GVOs möglich ist, ist in den europäischen Gesellschaften seit Jahrzehnten stark umstritten. Das hat in Deutschland im Jahre 2004 zu einer nachträglichen Ergänzung der Zweckbestimmung des Gentechnikrechts (GenTG) geführt, das nach Absatz 2 nun auch „die Möglichkeit zu gewährleisten [hat], dass Produkte, insbesondere Lebens- und Futtermittel, konventionell, ökologisch oder unter Einsatz gentechnisch veränderter Organismen erzeugt und in den Verkehr gebracht werden können.“

Diese sogenannte Koexistenzregelung verdankte sich keinen Risikoüberlegungen, sondern verfolgte ausschließlich den sozioökonomischen Zweck, durch ein Nebeneinander unterschiedlicher Produktionsweisen sowohl die Existenz des ökologischen bzw. GVO-freien Anbaus als auch die damit verbundene Wahlfreiheit des Verbrauchers zu schützen. Indem so darauf verzichtet wurde, unterschiedlichen Anbauweisen in der Landwirtschaft durch den Gesetzgeber einseitig zu präferieren, erhoffte man sich nach Auskunft des Bundesverfassungsgerichts eine „gesellschaftliche Befriedung“ in der Auseinandersetzung um den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft. Tatsächlich bewirkte diese Koexistenzregelung in Verbindung mit der Pflichtkennzeichnung von Produkten, die aus oder mit GVOs hergestellt werden, das Gegenteil, denn Verbraucher müssen seitdem davon ausgehen, dass solche Produkte mit einem Makel behaftet sind. Aber auch der niedrige Schwellenwert bei zufälligen, technisch unvermeidbaren GVO-Beimischungen, der in Europa durch einen politischen Beschluss auf 0,9 Prozent festgesetzt wurde, hat de facto zu einem Anbauverbot von GVOs in Deutschland geführt, da die bundesweiten Mindestabstände und die Möglichkeit ihrer regionalen Ausweitung ein Nebeneinander der Anbausysteme in der deutschen Landwirtschaft unmöglich macht.

Politisch legitimiert wird dieser Zustand mit Umfragen, die regelmäßig darüber Auskunft geben, dass eine überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Verzehr solcher Produkte ablehnt. Aber welche Gründe sollten Verbraucher auch dazu bringen, landwirtschaftliche Produkte, die aus oder mit GVOs hergestellt werden, zu konsumieren, wenn diese einen verpflichtenden Hinweis mit sich führen müssen, dass sie zwar gesundheitlich oder im Hinblick auf Umweltschäden unbedenklich sind – dieser Sachverhalt ist die Voraussetzung ihrer Zulassung –, aber zugleich eine Kennzeichnung erhalten, deren Begründung mit der Eigenart und fachlichen Qualität des Produktes in keinem Zusammenhang steht? Insbesondere für Produkte, die künftig mit den neuen Techniken der gerichteten Mutagenese z.B. durch die CRISPR-Cas-Methode hergestellt werden, dürfte dieser Sachverhalt auf dem europäischen Markt das Aus bedeuten.

Welche Gründe sollten Verbraucher auch dazu bringen, landwirtschaftliche Produkte, die aus oder mit GVOs hergestellt werden, zu konsumieren, wenn diese einen verpflichtenden Hinweis mit sich führen müssen, dass sie zwar gesundheitlich oder im Hinblick auf Umweltschäden unbedenklich sind, zugleich aber aus Gründen der Koexistenz gekennzeichnet werden müssen?

Im Rückblick kann man sagen: Zwar ist die Idee der Koexistenz gerade in pluralistischen Gesellschaften ein höchst verdienstvolles Mittel zur Befriedung von Konflikten. Allein, ihre pragmatische Gestaltung auf dem Wege von strikten Unterscheidungen zwischen vermischt und unvermischt, artfremd und arteigen bzw. rein und unrein entlang biologischer Parameter führt zur Konstruktion einer Umwelt, die man so in der Wirklichkeit nur auf abgeschotteten Inseln finden kann. Tatsächlich ist in der Umwelt wie in der Lebenswelt sowohl auf der Ebene der Sozialität als auch auf dem Gebiet des biologischen Gentransfers ständig alles in Bewegung und das Bestreben, hier Kontrolle, Sicherheit und vor allem ein gewisses Maß an Beständigkeit zu erreichen, ist auf andere Strategien angewiesen.

Insbesondere aus der Sicht einer pragmatischen Ethik, die die Aspekte von Vorsorge und Innovation zusammendenken will, erscheint hier ein Vorgehen als verantwortungsvoller, dass die Orientierung an Nachhaltigkeitszielen in den Vordergrund stellt, um so Verbesserungen beim Thema des Umweltschutzes und der Ernährungssicherheit zu erreichen. Zwar existieren auch bei dieser Strategie zahlreiche Zielkonflikte, wie sie durch die Vielfalt der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) unübersehbar sind. Doch diese Zielkonflikte bieten zugleich die Chance, Lösungsstrategien nicht durch Abschottungen biologischer Räume, sondern auf dem Weg von Zielvereinbarungen nachhaltiger Innovation zu entwickeln, wie dies z.B. durch den Green Deal der Europäischen Union versucht wird. Die Unvermeidbarkeit von politischen Kompromissen, die hier angesichts unterschiedlicher Interessen gerade auch als Folge des Bestehens unterschiedlicher landwirtschaftlicher Märkte konstatiert werden muss, wird man in politiktheoretischer Perspektive nicht als einen Defekt, sondern als ein Markenzeichen von Demokratie einstufen können.

Was leisten Rahmenbedingungen für innovatives Handeln?

Ob diese Orientierung an Zielvereinbarungen einer nachhaltigen Umweltpolitik tatsächlich realisierbar ist, hängt entscheidend von den politischen Rahmenbedingungen einer gemeinsamen europäischen Landwirtschaftspolitik ab. Ordnungspolitisch stützende Maßnahmen werden sich hier vor allem auf das Schaffen von Rahmenbedingungen für innovatives Handeln stützen, damit die Grundwerte der Europäischen Union als Produktivkräfte zur Entfaltung kommen können. Dabei kommt dem Grundrecht der Berufsfreiheit bzw. der unternehmerischen Freiheit eine zentrale Rolle zu. Diese sind in § 15 und § 16 der Europäischen Charta der Grundrechte festgehalten und schützen jede selbständige entgeltliche Erwerbstätigkeit natürlicher Personen, wobei die Garantie der Unternehmensfreiheit auch juristischen Personen zukommt.

Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
Grundgesetz Art 12 Abs 1

Nicht nur in der EU-Charta, sondern auch im deutschen Grundgesetz ist die Berufsfreiheit primär abwehrrechtlich ausgestaltet, was für die Umsetzung der oben angesprochenen Koexistenzregelung nach GenTG aus der Sicht der Anwender neuer Züchtungstechniken als zentrales Problem beschrieben worden ist. Denn ein Nebeneinander unterschiedlicher Anbausysteme, die nach der politischen Farm-to-Fork-Strategie alle gleichermaßen den Grundsätzen der Nachhaltigkeit unterliegen sollen, ist nur möglich, wenn ein Marktzugang wenigstens grundsätzlich gewährleistet ist. Dessen Einschränkung ist zwar beim Vorliegen von wissenschaftlichen Belegen, die Gefahren für Gesundheit und Umwelt plausibilisieren, möglich. Liegen diese jedoch nicht vor, dann ist eine Zugangsbeschränkung selbstständiger Unternehmer auf allen Gebieten – als Pflanzenzüchter, als Landwirt im konventioneller oder ökologischen Anbau und als Händler – nur über die politische Einigung auf gemeinsame sozioökonomische Kriterien in der Landwirtschaftspolitik möglich. Insofern bleibt die Zwecksetzung des deutschen GenTG, dass Koexistenz quasi als sozioökonomische „Friedensformel“ unterschiedlicher Anbausystem präferiert, auf eine bessere und vor allem praxistaugliche Form der Gewährung von Freiheitsrechten für unternehmerisches Handeln angewiesen.

Mit dem Begriff des „Könnensbewusstsein“ hat der Historiker Christian Meier eine mentale Disposition beschrieben, die er für die Zeit des 5. Jahrhunderts vor Chr. im antiken Griechenland als charakteristisch identifizierte. Dass das Neue etwas wert ist, einfach deshalb, weil man es kann, ist eine Lebenseinstellung, deren Popularität in der Antike nur eine vergleichsweise kurze, wenn auch sehr prägende Zeit anhielt. Und doch waren in dieser Zeit die Fortschritte auf den Gebieten der angewandten Technik, der Medizin und auch der Regierungskunst so frappierend, dass man sich der Bewunderung für die Menschen, die diese Fähigkeiten entdeckten oder erfanden, nicht zu schämen brauchte. Gleichwohl wusste schon Sophokles um die Ambivalenz dieser Fortschritte, wenn er im Chorlied der Antigone den Satz prägte: „Viel des Ungeheuren ist, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch“. Den Zeitgenossen war durchaus präsent, dass dem „Könnensbewusstsein“ nicht selbstverständlich auch ein Fortschritt im Ethischen korrespondierte. Im Gegenteil: Je mehr der Blick auf die „Ungeheuerlichkeiten“ gelenkt wurde, desto mehr erkannte man, dass dem Fortschrittshandeln offensichtlich ein gemeinsames Ziel fehlte. Zukunftsoffenheit als Voraussetzung unternehmerischen Handelns benötigt also offensichtlich sowohl die Fähigkeit zur technischen Innovation als auch den Willen zum gemeinsamen politischen Handeln.

Stephan Schleissing


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