Nachhaltigkeit der Landwirtschaft

Die politische Förderung eines fairen, gesunden und umweltfreundlichen Nahrungsmittelsystems ist ohne nachhaltiges Wachstum nicht denkbar. Doch wie soll man mit den Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten umgehen, die sich – wohl ganz unvermeidbar – bei der gleichzeitigen Realisierung von Nachhaltigkeit und ökonomischen Wachstum einstellen? Es kommt darauf an, wie man die nachhaltigen Prinzipien von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz einander zuordnet. Gerade sozialethische Überlegungen zeigen aber auch, dass freiwillige Selbstbeschränkung und kreatives Handeln bei der Förderung von Innovation keine Gegensätze bilden.

Nachhaltigkeit ist ein zentraler Leitgedanke der europäischen Agrarpolitik. Mit der Farm-to-Fork Strategie (2020), die Teil des europäischen Green Deals ist, forciert die Europäische Union eine Entwicklung hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft. Das soll durch die Kombination so unterschiedlicher Ziele wie der Erreichung eines gerechten Einkommens für Primärerzeuger, durch die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit sowie die Förderung von Forschung und Innovation erreicht werden. Das Ziel ist ein „faires, gesundes und umweltfreundliches Nahrungsmittelsystem“. Ein zentraler Baustein ist die Stärkung des integrierten Pflanzenschutzes bei gleichzeitig hoher Produktivität, was nach Ansicht der Kommission ohne den Einsatz der Genome Editing-Technologien in der Landwirtschaft nur schwer möglich sein dürfte. Darum veröffentlichte die EU-Kommission im Jahr 2021 eine Studie, die vor allem die „Zweckmäßigkeit“ der aktuellen Vorschriften des EU-Rechts problematisierte. Zugleich hebt sie hervor, dass die neuen Züchtungstechniken zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem beitragen können, indem sie Pflanzen gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger machen.

Die Leitgedanken, die den neuen Rahmen der europäischen Agrarpolitik prägen, sind zum einen das Konzept der Nachhaltigkeit und zum anderen die darauf aufbauende Idee eines nachhaltigen Wachstums. Während unter dem Konzept der Nachhaltigkeit bzw. nachhaltiger Entwicklung bereits seit 30 Jahren versucht wird, Herausforderungen des anthropogenen Klimawandels politisch entgegenzutreten, hat die Idee eines „nachhaltigen Wachstums“ (green growth) ihren Ort in der seit ca. zwanzig Jahren andauernden Debatte um die ökonomische Ausgestaltung einer sozial-ökologischen Transformation. Gemeinsam ist beiden, dass in ihnen ein dynamisches Naturverständnis zur Darstellung kommt. Bei diesem steht weniger der Gedanke des Bewahrens als der des verantwortungsvollen Gestaltens von Natur als immer schon kulturell geformte im Vordergrund. In dieser Perspektive wird veränderliche „Natur“ als Ressource und als Gut zum Thema. Welche Möglichkeiten lassen sich in der philosophischen Tradition finden, um mit diesem Problem ethisch umzugehen?

Das Konzept der Nachhaltigkeit

Historisch-politisch rückte der Begriff „Nachhaltigkeit“ erstmals auf dem Weltgipfel von Rio de Janeiro im Jahr 1992 ins Zentrum globaler Umwelt- und Klimapolitikkonzepte. In Deutschland wurde im Jahr 2002 eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt, die vom 2001 gegründeten Rat für Nachhaltige Entwicklung erarbeitet wurde und seither stetig geprüft und angepasst wird. Die politische Pointe von Nachhaltigkeit liegt dabei auf einer übergeordneten strukturellen Ebene in der Verknüpfung der Politikfelder Umwelt und Entwicklung. Davon zeugen nicht zuletzt die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten siebzehn Sustainable Development Goals (SDGs), die eine nachhaltige Entwicklung in Ländern des Globalen Südens und des Nordens gleichermaßen befördern wollen. Im selben Jahr, in dem die SDGs beschlossen worden sind, wurde auf der Weltklimakonferenz in Paris das Ziel verabschiedet, die Klimaerwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen (vgl. auch SDG 13). Auf weltweite Aufmerksamkeit stoßen deshalb die sogenannten „Sachstandsberichte“ des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der als „Weltklimarat“ im November 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) als zwischenstaatliche Institution ins Leben gerufen, um für politische Entscheidungsträger den Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Klimawandel zusammenzufassen. Seitdem sind Maßnahmen zur Emissionsreduktion von Treibhausgasen als das oberste Ziel einer an Nachhaltigkeit orientierten Politik in Deutschland und der EU anerkennt. Maßnahmen zum Klimaschutz sind daher auch Teil einer nachhaltigen Landwirtschaft.

Für viele Menschen in Ländern des Globalen Südens ist nicht die Sicherung, sondern die Erlangung von Wohlstand für die eigene Gegenwart das zentrale Ziel.

Die sich dabei neuformierenden Bezüge liegen nicht allein im Politischen, sondern auch im Bereich des Ethischen: Nachhaltigkeit führt umwelt- und bioethische Fragestellungen zusammen, verbindet intra- und intergenerationelle Perspektiven und verknüpft soziale, ökologische und ökonomische Probleme miteinander. Eine ethische Herausforderung für politische Entscheidungsträger besteht insbesondere darin, zwischen den Interessen gegenwärtiger und zukünftig lebender Generationen gerecht abzuwägen. Allerdings stößt das Interesse an der Erhaltung der landwirtschaftlichen Ressourcen für kommende Generationen angesichts der Wohlstandsreduzierung heute lebender Generationen gegenwärtig an seine Grenzen. Für viele Menschen in Ländern des Globalen Südens ist nicht die Sicherung, sondern die Erlangung von Wohlstand für die eigene Gegenwart das zentrale Ziel. In den SDGs der Vereinten Nationen stehen dementsprechend unterschiedliche Ziele nebeneinander: keine Armut (SDG 1) neben nachhaltigem Konsum und Produktion (SDG 12), eine nachhaltige Landnutzung (SDG 15) neben Wirtschaftswachstum (SDG 8) und Innovation (SDG 9). Unklar ist allerdings, wie diese gleichzeitig zu erreichen sind. Pragmatisch können die Ziele oft nur gegeneinander abgewogen werden, ohne dass sich die Zielkonflikte letztgültig lösen lassen. Allerdings macht dieser umfassende Ansatz beim Thema der Nachhaltigkeit deutlich, dass die ökonomische Dimension nur dann als „nachhaltig“ angesehen werden kann, wenn z.B. auch die Aspekte der Reduktion von Treibhausgasemissionen und faire Arbeitsbedingungen integriert sind.

Die Zauberformel „nachhaltiges Wachstum“

Für eine europäische, an Nachhaltigkeit orientierte Landwirtschaft ist nachhaltiges Wachstum daher ein wichtiger Leitgedanke. Seit ca. zehn Jahren dominiert den Nachhaltigkeitsdiskurs die Forderung nach Transformation. Durch das schnelle Voranschreiten des Klimawandels hat diese Forderung an Nachdruck gewonnen. Für den Bereich der (Agrar-)Ökonomie ist nachhaltiges Wachstum eine Alternative zu den Konzeptionen eines „Postwachstums“ oder auch eines „Degrowth“, die ein Gesundschrumpfen der Wirtschaft als Lösung präferieren, da die Menschheit bereits über ihre Verhältnisse lebe und ökologische Systeme überstrapaziert sind.

Ziel muss es sein, dass globale Wachstumsregime so zu transformieren, dass Wohlstands-produktion und Ressourcen-verbrauch voneinander getrennt werden.

Demgegenüber folgen Vertreter eines nachhaltigen Wachstums der Einsicht, dass ökologische Krisen nicht mit einer Abkehr von Wachstum zu meistern sind. Ziel muss es sein, dieses so zu transformieren, dass Wohlstandsproduktion und Ressourcenverbrauch voneinander getrennt werden. In Anwendungsfragen im Bereich der Landwirtschaft fordert die Idee eines nachhaltigen Wachstums den umweltethischen Vorsorgegedanke in der Weise auf biochemische und gentechnologische Forschung zu beziehen, dass die Möglichkeit technisch induzierter Innovation bestehen bleibt. Mit Blick auf die Zulassungsverfahren von Genome Editing in der Pflanzenzüchtung muss gefragt werden: Welche Konsequenzen hat das Verbot von Genome Editing in der EU für das Erreichen von Umwelt- und Klimaschutzzielen, wie sie in der Farm-to-Fork Strategie festgeschrieben sind?

Die Zulassung von Genome Editing kann dann als unter dem Aspekt der Zukunftsvorsorge gesehen werden, wenn sie an Nachhaltigkeit orientiert ist. Kriterien, die mittels einer Kosten-Nutzen-Analyse im Politischen abgewogen werden, sind sozialer (Gerechtigkeit), ökologischer (Umweltschutz) und ökonomischer (Wohlstand) Art. Abzuwägen konkret sind u.a. die Reduktion des Pestizideinsatzes im Pflanzenanbau, die wirtschaftlichen Chancen von Pflanzenzüchtern und Landwirten und die Ernährungssicherung. Eine Schwierigkeit hierbei sind Vereinseitigungen: Sowohl eine allein aus dem ökonomischen Nutzen begründete Überhöhung von Genome Editing als das Mittel für eine nachhaltige Landwirtschaft als auch die pauschale Ablehnung von Genome Editing als Gefahr für die Biodiversität von (Nutz-)Pflanzen unterlaufen die Abwägungen bei der gleichzeitigen Realisierung von Nachhaltigkeit und ökonomischen Wachstum. So schwierig solche Abwägungsprozesse auch zu gestalten sind, versuchen sie doch, in einer auf nachhaltiges Wachstum ausgerichteten Landwirtschaft die Ziele von Gerechtigkeit, Umweltschutz und Wohlstand komplementär zu verfolgen. Indem Gerechtigkeit und Umweltschutz als in den Wachstumsgedanken selber integrierte Ziele verstanden, kann dieser seiner nachhaltigen Wirkungen entfalten.

Natur als „Gut“ und als „Wert“: Ethische Anschlussfragen

Doch wie soll man mit den Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten umgehen, die sich – wohl ganz unvermeidbar – bei der gleichzeitigen Realisierung von Nachhaltigkeit und ökonomischen Wachstum einstellen? Hier gibt es sowohl eine tugendethische als auch eine sozialethische Antwort. Erstere setzt unter dem Stichwort „Suffizienz“ ganz auf eine Strategie der freiwilligen Selbstbegrenzung von Konsumenten und Unternehmen. Diese Haltung wird sowohl als eine einzuübende Veränderung des alltäglichen Verhaltens als auch als Praxis eines weit reichenden kulturellen Wandels verstanden. Beides folgt der Einsicht, dass ein nachhaltiger Umgang mit natürlichen Ressourcen und ein weltweiter gerechter Ausgleich zwischen Armen und Reichen ohne Einschränkungen des Konsums nicht zu erreichen sind. Dabei wissen die Vertreter dieser Position genau, dass dieses Ziel nur gemeinsam mit den Strategien sowohl von Effizienz wie auch von Konsistenz zu erreichen sind. Während sich Effizienz auf eine ergiebigere Nutzung von Materie und Energie, also auf Produktivität von Ressourcen richtet, zielt die sogenannte Konsistenz auf naturverträgliche Technologien, welche die Stoffe und die Leistungen der Ökosysteme nutzen ohne sie zu zerstören. Beide Prinzipien sind zentrale Bestandteile einer Politik der Bioökonomie, wie sie als übergreifendes Forschungsfeld für die europäische Forschungslandwirtschaft und Wirtschaftsförderungen vertreten werden. In dieser Weise verbinden sich als tugendethische mit technikethischen Argumenten der Folgenverantwortung, wie sie oben am Beispiel eines nachhaltigen Einsatzes von Techniken des Genome Editing in der Landwirtschaft skizziert wurden.

An dieser Stelle zeigt sich, dass nachhaltiges Wachstum nur begrenzt planbar ist. Und auch eine bloße „Bedarfsforschung“ ist nicht zielführend.

Demgegenüber heben allerdings sozialethische Überlegungen hervor, dass ein tugendethischer Ansatz beim Thema des „nachhaltigen Lebens“ zu sehr an gut gemeinten Absichten der Akteure orientiert ist. Doch nicht moralische Appelle verändern Ökonomien, sondern Anreize, wie sie in Marktwirtschaften nach den Regeln von Angebot und Nachfrage entstehen. Im Kern geht es hier um die Frage, wie man in wirtschaftsethischer Weise auf die Dilemmata des „nachhaltigen Wachstums“ reagieren kann.

Anhänger eines Planungsoptimismus setzen in dieser Situation zurecht ganz auf staatliche Lenkungsmechanismen, um das ökonomische Wachstum mit der Idee der Nachhaltigkeit zu „versöhnen“. Die Idee der EU-Kommission, bei den neuen gentechnischen Züchtungstechniken mögliche Liberalisierungen bei der Regulierung daran zu knüpfen, dass sie eine nachhaltige Landwirtschaft befördern, ist dabei mit spezifischen Folgeproblemen behaftet. Denn wie genau lässt sich vorab messen, ob Nachhaltigkeitsgewinne durch diese neuen Züchtungsmethoden tatsächlich erzielt werden können? Ganz zu schweigen von möglichen unerwünschten Nebenfolgen in der Landwirtschaft, die in ihrer Relevanz noch nicht absehbar sind. An dieser Stelle zeigt sich, dass nachhaltiges Wachstum nur begrenzt planbar ist. Und auch eine bloße „Bedarfsforschung“ ist nicht zielführend. Das ist kein grundsätzlicher Einwand gegen die Losung des green growth. Allerdings beinhaltet die Forderung, in Zukunft „intelligent wachsen“ zu müssen zugleich die Einsicht, dass sich Innovationen nur bedingt am Reißbrett planen lassen. Eine Ethik der Innovation muss sich also der Herausforderung stellen, Anreize für wissenschaftliche Fortschritte bei der Förderungen einer nachhaltigen Landwirtschaft zu schaffen ohne doch selber schon die Realisierung dieser Ziele uneingeschränkt garantieren zu können.

Die Frage ist: Wie erobern sich Erfindungen eine Chance auf dem Markt, wie können sie sich halten bzw. eine ausreichende Marktdurchdringung erreichen? Innovationen ereignen sich nicht am grünen Tisch, sondern entstehen im Wettbewerb.

Eine nachhaltige Landwirtschaft kann nicht Resultat einer reine Planwirtschaft sein. Vielmehr machen sozialethische Überlegungen plausibel, warum das Zusammenwirken unterschiedlicher Organisationsebenen für eine innovative Gesellschaft förderlich sind. Konkret heißt das: Die bloße Entdeckung – „In-vention“ – von etwas Neuem ist noch keine Innovation. Inventionen bezeichnen die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung als Entdeckung oder Erfindung. Sie sind notwendige Vorstufen einer Innovation, aber was ihnen fehlt, ist das Typische der Innovation: nämlich die Orientierung an der Umsetzung einer Idee auf dem Markt. Damit rücken die Aspekte der ökonomischen Wissensvermittlung und des wirtschaftlichen Erfolgs in eine Zentralposition ein. Die Frage ist dann: Wie erobern sich Erfindungen eine Chance auf dem Markt, wie können sie sich halten bzw. eine ausreichende Marktdurchdringung erreichen? Innovationen ereignen sich nicht am grünen Tisch, sondern entstehen im Wettbewerb. Nicht zuletzt entscheiden sie sich an den Spielräumen, die sich in Gesellschaften für das unternehmerische Handeln von individuellen und kollektiven Akteuren finden lassen. In ethischer Hinsicht kann man daraus den Schluss ziehen: Freiwillige Selbstbeschränkung und kreatives Handeln bilden keine Gegensätze, sondern bleiben aufeinander bezogen.

Stephan Schleissing, Nora Meyer


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